Feuerstuhl auf zwei Rädern

Vor 125 Jahren fuhr in Deutschland das erste Motorrad der Welt

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 2 Min.

Den Namen Gottlieb Daimler kennt heute fast jeder. Denn der deutsche Erfinder hatte 1886 einen kleinen und schnell laufenden Benzinmotor in einen Kutschenwagen eingebaut und damit das erste vierrädrige Automobil der Welt konstruiert. Weniger bekannt hingegen ist, dass Daimler und sein Mitarbeiter Wilhelm Maybach schon ein Jahr zuvor diesen Motor an einem zweirädrigen Fahrzeug getestet hatten. Da dessen Ledersitz wie ein Sattel geformt war, wurde es von beiden Ingenieuren auch als »Reitwagen« bezeichnet.

Im August 1885 meldete Daimler dieses erste Fahrzeug mit Benzinmotor zum Patent an. Und obwohl es noch zwei Stützräder besaß, gilt es heute als Urform des Motorrads. Der Rahmen und die Räder des Reitwagens waren aus Holz gefertigt. Direkt unter dem Ledersitz befand sich der Motor, der beim Fahren eine beträchtliche Hitze entwickelte.

Davon leitet sich der noch immer gebräuchliche Name »Feuerstuhl« für ein Motorrad ab. Mit einem Gewicht von kaum 60 Kilogramm war der einzylindrige Motor des Reitwagens relativ leicht. Er hatte einen Hubraum von 264 Kubikzentimetern und leistete etwa eine halbe Pferdestärke bei 600 Umdrehungen pro Minute. Die Kraftübertragung erfolgte von der Motorriemenscheibe über einen Treibriemen zum Hinterrad, wobei der Reitwagen je nach gewählter Scheibe zwei Geschwindigkeiten erreichen konnte: sechs bzw. zwölf Stundenkilometer.

Mitte November 1885 ging das erste Motorrad der Welt auf Jungfernfahrt. Chauffiert wurde es von Gottlieb Daimlers 16-jährigem Sohn Paul, der dabei die drei Kilometer lange Strecke von Cannstatt nach Untertürkheim im heutigen Baden-Württemberg zurücklegte. Trotz dieses Erfolgs gab es das zweirädrige Gefährt nirgendwo zu kaufen, denn es diente Daimler und Maybach nur als Vorstufe zum Bau des Automobils. Das erste Benzinmotorrad, das in größerer Stückzahl produziert wurde, war 1894 die »Hildebrand & Wolfmüller«, die immerhin 40 Stundenkilometer erreichte. Allerdings musste die Herstellerfirma, die erstmals den Namen »Motorrad« benutzte und sich diesen patentrechtlich schützen ließ, wegen technischer Schwierigkeiten bei der Produktion bereits 1897 Konkurs anmelden. Nach der Jahrhundertwende schossen überall auf der Welt Motorradfabriken aus dem Boden; allein in Deutschland waren es über 50. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs galt die US-Firma »Indian« als weltgrößte Motorradfabrik. Danach erwarb die Firma »Harley-Davidson« diesen Titel, mit dem sich heute das japanische Unternehmen »Honda« schmücken darf.

Das von Daimler und Maybach gebaute Original des ersten Motorrads ging 1903 bei einem Werksbrand verloren. Aber sowohl im Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart als auch im Deutschen Museum in München sind Nachbauten des Reitwagens zu besichtigen, dessen Erfindung gewissermaßen den Startschuss gab für die weltweite Motorisierung des Menschen.

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