»Wir hangeln uns von Jahr zu Jahr«

Berliner Indie-Label City Slang feiert 20. Jubiläum und trotzt der Krise

  • Werner Herpell, dpa
  • Lesedauer: 4 Min.

Die oft beschworene Krise der Musikindustrie ist auch an City Slang nicht vorübergegangen. Das hält die kleine Plattenfirma aber nicht davon ab, stilvoll ihren runden Geburtstag zu feiern. Das Konzept des Label-Chefs klingt heute fast noch exotischer als vor 20 Jahren.

Indierock vom Fan für Fans: Getreu diesem Motto macht Christof Ellinghaus keine Kompromisse bei der Auswahl seiner Künstler und bei der Vermarktung ihrer Platten. Der Gründer und Geschäftsführer des Berliner Labels City Slang bringt konsequent nur Musik heraus, die ihm selbst gefällt – auch wenn man so nicht reich wird. »Da springe ich nicht über meinen Schatten«, sagt Ellinghaus im Gespräch. Trotz mancher kommerzieller Krisen hat City Slang allen Grund, das 20-jährige Bestehen dieses Wochenende in Berlin groß zu feiern.

Bei drei Konzertabenden erweisen einstige und aktuelle City-Slang-Künstler dem Label ihre Referenz: die Wüstenrocker Calexico, das Country-Soul-Orchester Lambchop, experimentelle Projekte wie Tortoise, Yo La Tengo oder Menomena, die deutschen Bands Get Well Soon und The Notwist. Viel wird dann die Rede sein von der Unbestechlichkeit und Neugier, mit der Ellinghaus seit zwei Jahrzehnten als Trüffelsucher auf dem Feld des nordamerikanischen und zunehmend auch des deutschen Indierocks unterwegs ist.

»Ich kam nie vom Kaufmännischen, sondern immer von der Liebe zur Musik«, betont der 47 Jahre alte gebürtige Ostwestfale im Rückblick. Also begleitete er während des Studiums in Berlin Ende der 80er Jahre zunächst US-Musiker als Tourmanager durch Deutschland, unter anderem damals noch völlig unbekannte Bands wie Nirvana, Soundgarden oder The Flaming Lips. Um ihre Platten hierzulande in die Läden zu bringen, gründete Ellinghaus 1990 das international ausgerichtete Indie-Label.

Seither bewies City Slang oft Gespür für Trends jenseits des Rock- Mainstreams: Grunge, Gitarrenrock, Postrock, Folk- und Country-Rock. So entdeckte Ellinghaus im Zuge des Nirvana-Hypes das Album »Live Through This« (1994) von Kurt Cobains Ehefrau Courtney Love mit ihrer Band Hole – und traf den Zeitgeist. »Allein wegen dieser Platte konnte ich eine Familie gründen«, sagt der Vater zweier Kinder.

Etwa 200 Vinyl- und CD-Alben hat City Slang bisher veröffentlicht, geschätzte fünf Millionen Stück davon wurden abgesetzt. Der international hervorragende Ruf des Labels überstrahlt diese eher bescheidenen Zahlen. Bis heute gibt Ellinghaus obskuren Bands und Künstlern ohne großes Verkaufspotenzial eine Chance, mittlerweile auch auf dem Zweitlabel Souterrain Transmissions. Er entdeckt sie auf großen Festivals in Kanada oder den USA, bei Konzerten in Johannesburg, Paris oder Glasgow – aber auch per Netzrecherche: »Man kann heute viel im heimischen Büro aus dem Internet generieren.«

Am aufregendsten ist es für Ellinghaus aber immer noch, eine junge, unbekannte Band bei einem Club-Auftritt zu entdecken und für City Slang zu gewinnen. So erging es ihm vor Jahren bei Arcade Fire, der mit bombastischem Rockhymnen inzwischen weltweit erfolgreichen Band aus Montreal. Ein Glücksfall, denn »die haben uns mit ihrem Album ›Neon Bible‹ 2007 den Hintern gerettet und werden es dieses Jahr mit ›The Suburbs‹ wieder tun«. Ohne gelegentliche Kassenschlager wie Arcade Fire oder Calexico wäre ein auf Idealismus, gutem Geschmack und etwas missionarischem Eifer basierendes Label wie City Slang irgendwann eben doch am Ende. »Wir hangeln uns von Jahr zu Jahr«, sagt der Manager.

Umso glücklicher ist Ellinghaus, dass es seine Firma mit rund zehn Mitarbeitern im Jahr 2010 immer noch gibt. Mit Gejammer über die Ungerechtigkeit von Hits und Flops hält er sich nicht lange auf, auch nicht mit dem weit verbreiteten Zynismus innerhalb der taumelnden Musikindustrie. Selbst erkannte Qualität bleibt sein Maßstab für zeitgemäße Rockmusik. Dafür kämpft Ellinghaus auch mal mit riskanten PR-Aktionen, beispielsweise als er eine Lambchop-CD im Magazin »Rolling Stone« quasi verschenkte und viel Kritik einstecken musste. Solche Enttäuschungen hakt »Mister City Slang« schnell ab: »Man kann doch gar nicht anders, als dem lieben Gott danken, wenn man wie ich einen Job machen darf, der mit Leidenschaft zu tun hat.«

City-Slang-Konzerte im Admiralspalast: 19.11. (Get Well Soon, The Notwist, Calexico); 20.11. (Menomena, Tortoise, Broken Social Scene); 21.11. (Alexi Murdoch, Yo La Tengo, Lambchop)

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