Theoretiker

Martin Binder / Der Jenaer Ökonom erhielt den Deutschen Studienpreis 2010

»Wir Volkswirte sollten etwas demütiger sein, wenn wir nach gesellschaftlichem Fortschritt fragen«, meint Nachwuchsökonom Martin Binder. Vielleicht gerade wegen solcher Zurückhaltung wurde er am Dienstagabend in Berlin mit dem Deutschen Studienpreis ausgezeichnet, den die Körber-Stiftung jährlich den besten deutschen Nachwuchswissenschaftlern aller Fachrichtungen verleiht. Die mit je 30 000 Euro dotierten ersten Preise gingen auch an die Frankfurter Juristin Angela Kolbe für ihre Dissertation zu den Rechten von Intersexuellen und an den Berliner Geologen Hauke Marquardt für seine Arbeit zu Tiefenschichten der Erde.

Binder habe mit seiner Promotion an der Friedrich-Schiller-Universität Jena »einen herausragenden Beitrag zur sehr aktuellen gesellschaftlichen Debatte über ein adäquates Maß für Wohlfahrt und Fortschritt« geleistet, heißt es in der Begründung der Jury. Der 32-Jährige entwirft darin ein Gegenmodell zur gängigen Lehrmeinung, dass das Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens als Folge technologischen Fortschritts das entscheidende Kriterium für Wohlfahrt ist. Es ignoriere die Verteilungsproblematik, und Innovationen könnten auch fatale Folgen haben – man denke nur an die Finanzinnovationen, die die Bankenkrise auslösten. Binder, der seit 2004 am Max-Planck-Institut für Ökonomik forscht, stellt gleichzeitig das ökonomistische Menschenbild vom rationalen, rein nutzenorientierten »Homo oeconomicus« in Frage. Erkenntnissen der Psychologie oder Neurobiologie folgend, stellt er den »Homo discens«, den lernenden Menschen, dagegen, dessen Wünsche sich über die Zeitläufte hinweg gehörig verändern.

Binders Forschung passt in die Suche nach einem alternativen Wachstumsbegriff, die auch in Teilen der Wirtschaftswissenschaft einen gewissen Schub bekommen hat, seit die Finanzkrise das Versagen der klassischen Ökonomik sichtbar gemacht hat. Mit seiner »evolutorischen Wohlfahrtsökonomik« liefert Binder indes keine fertigen und starren (Gegen)-Mo- delle, denen er skeptisch gegenübersteht. Noch etwas unterscheidet ihn wohltuend von so Manchem in seiner Zunft: Er stellt Argumente auf theoretischer Ebene dar, was hemdsärmeliger Politikberatung unmöglich ist. Auch dies ist wohl eine Art Demut.

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