nd-aktuell.de / 26.11.2010 / Politik / Seite 5

Keine Spur von Zauber mehr

Nach dem sechsten Rücktritt eines CDU-Spitzenpolitikers steht Schwarz-Grün in Hamburg vor einem Scherbenhaufen

Volker Stahl, Hamburg
Der Zauber, der dem Neuen, Ungewöhnlichen innewohnte, war spätestens nach dem Rücktritt von Bürgermeister Ole von Beust im Juli verflogen. Nicht nur, weil nun mit Carsten Frigge schon der zweite Finanzsenator in der 19. Wahlperiode von Bord ging, zeichnet sich das Ende des schwarz-grünen Experiments in Hamburg ab.

»Endlich frei«, raunte Carsten Frigge, als er den Bürgerschaftssaal verließ. Was er damit meinte: Endlich frei von der Last des Finanzsenators. Nach nur acht Monaten quittierte der CDU-Politiker sein Amt, das er von seinem ebenfalls zurückgetreten Vorgänger Michael Freytag (CDU) übernommen hatte. Frigge reagierte damit auf die heftige Kritik, der er wegen der Parteispenden-Affäre in Rheinland-Pfalz ausgesetzt war. Den dortigen Christdemokraten wird vorgeworfen, ihre Parteiarbeit mit Fraktionsgeldern finanziert zu haben. Frigges Düsseldorfer Beratungsfirma C4 Consulting kassierte für ihre Tätigkeit 386 000 Euro. Die Mainzer Staatsanwaltschaft ermittelt deshalb wegen des Verdachts auf Beihilfe zur Untreue gegen Frigge und ließ seine Wohnungen in Hamburg und Berlin durchsuchen – eine Razzia bei einem Senator hatte es in der Geschichte der Hansestadt noch nie zuvor gegeben! Es wird gemutmaßt, dass Frigge jetzt hingeschmissen hat, weil er mit einer Anklage rechnet. Ein Geschmäckle hatte auch, dass die Firma des scheidenden Finanzsenators den HSH-Nordbank-Anteilseigner J.C. Flowers beriet.

Mit Frigges Demission sind vier der sechs zu Beginn der Wahlperiode im Jahr 2008 angetretenen CDU-Senatoren nicht mehr im Amt. Zurückgetreten waren außerdem der amtsmüde Bürgermeister Ole von Beust und der christdemokratische Bürgerschaftspräsident Berndt Röder wegen der »Glatteis-Affäre«. Der fast komplette Austausch des Spitzenpersonals ist alles andere als vertrauenserweckend, was aktuelle Umfragen bestätigen. Nur noch 35 Prozent der Hamburger würden CDU wählen. Die SPD wäre mit 40 Prozent die stärkste Partei. Grün-Alternative Liste (GAL) und die LINKE kämen auf 12 bzw. 6,4 Prozent. Die FDP würde den Sprung in die Bürgerschaft erneut verfehlen.

Da überrascht kaum, dass SPD-Landeschef Olaf Scholz Neuwahlen fordert: »Das ist etwas, worüber zumindest die GAL mit ihrer Basis jetzt diskutieren muss. Und auch die CDU sollte sich überlegen, ob das jetzt nicht die bessere Lösung ist: Den Weg freizumachen für die Bürgerinnen und Bürger, selbst zu entscheiden, wie es weitergeht.« Auch persönlich sieht Scholz sich als mutmaßlicher Spitzenkandidat seiner Partei gegenüber dem Amtsinhaber Christoph Ahlhaus gestärkt. Bei der »Bürgermeister-Frage« hat der stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD mit 42 zu 28 Prozent die Nase vorn.

Den Scholz-Vorstoß in Richtung Neuwahlen ließ der Hamburger CDU-Vorsitzende nicht lange unbeantwortet. Frank Schira bezeichnete die Forderung als »typischen Oppositionsreflex«. Schwarz-Grün habe einen Wählerauftrag und werde sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Aus den Zwischentönen ist zu hören: Der Kuschelkurs zwischen CDU und GAL ist längst Geschichte. Beide Parteien versuchen, sich mit Blick auf die nächste Bürgerschaftswahl 2012 zu profilieren – und gehen immer stärker auf Distanz zueinander.

Nicht nur für die CDU dürfte das Regieren bis zur nächsten Wahl schwer werden, auch die Grünen ächzen. Die grüne Klientel registriert, dass ihre Partei in der Koalition bisher nur verloren hat: Das Kohlekraftwerk Moorburg wurde nicht verhindert, die Elbvertiefung kommt und die Schulreform, das Kernprojekt der grünen Schulsenatorin Christa Goetsch, ist gescheitert – auch an der mangelhaften Unterstützung aus der CDU. Letzte grüne Hoffnungen ruhen auf der Realisierung der sündhaft teuren Straßenbahn, gegen die sich zuletzt Widerstand formierte. Auch wolkige Projekte wie die Ausrufung Hamburgs zur Klimahauptstadt können höchstens als Teilerfolg verkauft werden. »Das Ende von Schwarz-Grün ist nur eine Frage der Zeit«, mutmaßt Dora Heyenn, Fraktionschefin der LINKEN.