nd-aktuell.de / 27.11.2010 / Kultur / Seite 54

Strumpfhose als Oberkleid

Authentische Kriminalfälle aus Bayern

Frank-Rainer Schurich

Der ehemalige Kripo-Chef in Augsburg und Nürnberg Karl Häusler hat ein neues Sachbuch vorgelegt, das merkwürdige, skurrile, makabre, ungewöhnliche, kuriose, aber auch spektakuläre und tragische Kriminalfälle aus seiner aktiven Zeit bei der Kriminalpolizei bietet. Sie geben Einblick in die Arbeit der Beamten, die Möglichkeiten und Grenzen, in dieser Republik überhaupt seriöse kriminalistische Arbeit zu leisten.

In der Geschichte »Sex und Crime im Rotlichtmilieu« entwirft der Autor ein ziemlich genaues Bild von den mafiösen Strukturen, deren Aufdeckung dadurch erschwert wird, dass dieses Milieu »von seinen guten Beziehungen zur bürgerlichen Welt« lebt. Was darunter zu verstehen ist, folgt sogleich: »Hochrangige Politiker, Abgeordnete des Landtags, Behördenchefs, Richter und Staatsanwälte, Polizeibeamte, Banker und Manager aus Handel und Industrie zählten zum Bekanntenkreis« des Beschuldigten. Ein Kriminalhauptkommissar war gar bei der Einschleusung von Thaimädchen behilflich, die in Deutschland zur Prostitution gezwungen wurden. Klar, dass Ermittlungen dann fast unmöglich sind. Organisierte Kriminalität wird so eine Standpunktfrage, bei der man sich zwischen einem cleveren Unternehmer, in dessen Geschäftsbereich nun mal keine Heiligen und Bischöfe verkehren, oder einem Schwerverbrecher zu entscheiden hat.

»In der Gewalt von Sexgangstern« schildert Häusler brutale Vergewaltigungen in einem Pkw durch drei amerikanische Soldaten, die nach einer gefährlichen Verfolgungsjagd (die Geschädigte befand sich auch noch im Auto) und gegen den Widerstand von anderen rebellierenden Ami-Soldaten festgenommen wurden, obwohl sich die Täter in ihre amerikanische Kaserne retten konnten. Dort gab die deutsche Polizei sogar selbstbewusst und straffrei Warnschüsse ab. Es dauerte wohl eine ziemliche Weile, bis diese Aktion erfolgreich abgeschlossen werden konnte, und erst dann kümmerte man sich endlich um die junge Frau, die immer noch nackt und frierend im Auto saß an diesem Apriltag im Jahr 1979. Wahrlich nicht opferfreundlich.

In einem angeblichen, nicht restlos aufgeklärten Vergewaltigungsfall im November 1987 in Nürnberg gibt der Autor längere Passagen der Aussage des vermeintlichen Vergewaltigers wieder, die beweist, dass polizeiliche Protokolle immer wieder eine Fundgrube für Stilblüten sind: »Außer einer fleischfarbenen Strumpfhose trug sie keine Oberbekleidung.«

Viele andere interessante Fälle werden ausgebreitet: Ein Diplomphysiker als Beinfetischist, der nicht davor zurückschreckt, Leichen die Beine abzutrennen. Eine lügende Freifrau, die nicht alle Situationsmerkmale kennt und irrtümlich eine Vergewaltigung vortäuscht. Eine »Tote«, die deshalb lebt, weil nach schlampigen Ermittlungen eine falsche Person unter ihrem Namen beerdigt wurde. Und eine Salami, die zum angeblichen Tatwerkzeug mutiert, sowie ein klemmender Reißverschluss, der allerhand Irritationen hervorruft.

Häusler bietet mit diesem Buch ein wahrlich gruseliges Porträt vom Freistaat Bayern, der sich gern als Vorbild für die Republik geriert.

Karl Häusler: Die Tote lebt. Ungewöhnliche authentische Kriminalfälle. Militzke. 191 S., geb., 14,90 €