Die Idee des Stellmachers

Aus Zeitz kam das gesamte Kinderwagenangebot der DDR. Heute lässt Zekiwa in Fernost produzieren

  • Thomas Schöne, dpa
  • Lesedauer: 2 Min.
Heute gehört er zur Grundausstattung jeder jungen Familie: der Kinderwagen. Ein Stellmacher aus Zeitz (Sachsen-Anhalt) hat ihn 1864 konstruiert.

Zeitz/Döschwitz. Die Geburtsstunde des Kinderwagens liegt erst 164 Jahre zurück. Der Zeitzer Stellmacher Ernst Albert Naether (1825-1894) brachte damals von seiner Wanderschaft durch Europa eine Produkt-Idee mit: Er konstruierte 1846 einen Ziehwagen, der ausschließlich dazu bestimmt war, Säuglinge außerhalb des Hauses zu transportieren.

Zuvor hatten die Mütter die Kleinen am Körper getragen oder in einen Handwagen gesetzt. Nae-ther fand schnell Nachahmer in Zeitz – und die Kinderwagenindustrie ist bis heute ein Markenzeichen der Stadt. Um 1900 war Zeitz mit elf Firmen Zentrum der Kinderwagenfabrikation in Deutschland. Das Deutsche Kinderwagenmuseum im Schloss Zeitz zeigt in seiner Dauerausstellung die Geschichte der Kinderwagenindustrie – einmalig in Deutschland. 600 Kinderwagen aus drei Jahrhunderten sind zu sehen, außerdem allerlei weitere Erfindungen für die Kleinsten: Puppenwagen, Kinderfahrzeuge, Kindermöbel, Schaukeln, Laufgitter, Stubenwagen und Erstlingsbetten.

»Jährlich kommen rund 10 000 Besucher«, sagt Museumsleiterin Kristin Otto. »Fast jeder sucht seinen Wagen. Viele entdecken auch ihren Puppenwagen, Kinderstuhl oder Roller wieder.« Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Firmen in Zeitz enteignet und im Volkseigenen Betrieb Zeitzer Kinderwagenindustrie, kurz VEB Zekiwa, zusammengefasst.

Bis zur Wende war das Werk mit 2800 Mitarbeitern der größte Kinderwagenproduzent Europas. Jährlich verließen 460 000 Kinderwagen und 150 000 Puppenwagen die Fertigungsbänder. Jedes Baby in der DDR lag in einem Zekiwa-Wagen. Ein Teil der Firma wurde ein Wahrzeichen von Zeitz: Weithin sichtbar führte eine Förderband-Konstruktion quer durch die Stadt – von der Produktionsstätte zum Lager.

Nach der Wende brachte der Strukturwandel für Zekiwa 1996 die Insolvenz. »Wir standen von heute auf morgen ohne etwas da«, erinnert sich Evelin Schönefuß, die Geschäftsführerin der heutigen Zekiwa GmbH. Sie beschloss damals einen Neuanfang. Die Produktion wurde nach Fernost ausgelagert. In Zeitz blieben der Vertrieb, die Musternäherei, die Entwicklung und das Lager mit insgesamt zwölf Mitarbeitern.

Derzeit können Eltern zwischen 30 Kinderwagen- und 15 Puppenwagenmodellen von Zekiwa wählen. Im Zuge der wachsenden Mobilität in der Gesellschaft zähle vor allem Funktionalität, sagte Schönefuß. Beliebt seien nach wie vor der kombinierten Kinder- und Sportwagen, in denen die Jüngsten Platz bis zu ihrem dritten Lebensjahr Platz haben. Und: »Die Leute achten besonders darauf, dass der Kinderwagen in ihr Auto passt.«

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