Sprecher der Göttinger Sieben

Neue Biografie zu Friedrich Christoph Dahlmann

  • Martin Hundt
  • Lesedauer: 4 Min.

Die umfangreiche Biografie, rechtzeitig zu seinem 150. Todestag vorgelegt, ist Friedrich Christoph Dahlmann wahrlich angemessen: Belesen und quellengesättigt, ohne jede Hast in der breiten Darlegung dessen, was man zu sagen für nötig hält, bedächtig im Urteil. Sie behandelt auch die gesamte politische Tätigkeit des tief in der griechisch-römischen Geschichte verwurzelten Universitätsprofessors, was kürzlich seinem Freund Droysen in einer Biografie übel angerechnet wurde.

Dabei war es gewiss nicht leicht, über einen so spröden Charakter, wie den am 5. Dezember 1860 in Bonn verstorbenen Dahlmann, zu schreiben. Wilhelm Bleek nennt ihn »scheu und steif«, einmal sogar introvertiert. Aber sein norddeutsch-fester Charakter und eine unbeirrbare Gesinnungstreue machten alles wieder gut. Die auffallende Übereinstimmung im wissenschaftlichen Herangehen und im politischen Urteil zwischen dem Helden des Buches und dessen Autor überrascht weniger, wenn man erfährt, dass Bleeks Ururgroßvater schon 1814 bei Dahlmann Vorlesungen hörte. Neu und interessant ist die Schilderung der tiefen Jugendfreundschaft zu Heinrich von Kleist im Jahre 1809.

Dahlmann war kein Revolutionär (Bleek nennt ihn »reformkonservativ«), aber er hat schon 1819 wirksam gegen die Karlsbader Beschlüsse protestiert, äußerte Begeisterung für die mittelalterliche Bauernrepublik Dithmarschen und entdeckte historische (und damals von politischer Brisanz erfüllte) Dokumente über die Zusammengehörigkeit der Herzogtümer Schleswig und Holstein. 1837 war er der Wortführer der »Göttinger Sieben« und erlitt danach ein fünfjähriges Berufsverbot. 1848/49 gehörte er zu den einflussreichsten Männern bei der Erarbeitung der Verfassung in der Frankfurter Nationalversammlung.

Deutlicher als in bisherigen Darstellungen wird nun Dahlmanns Rolle im September 1848 beim Kampf gegen den Malmöer Waffenstillstand im Krieg gegen Dänemark erörtert. Hier stand er einmal in seinem Leben auf der Seite der Linken, ließ sich bis zum Aufruf für Freischaren hinreißen und erhielt auf dem Höhepunkt des Konflikts (der in Frankfurt zu bewaffneten Straßenkämpfen führte) den Auftrag, die Leitung des »Reichsministeriums« zu übernehmen. Sein Biograf ist noch nachträglich entsetzt über Dahlmanns Rede in der Paulskirche vom 4. September 1848: Es sei eine »Gesinnungsaktion« gewesen, »die alle realpolitischen Überlegungen ausblendete und ihm bei der Verwirklichung seiner politischen Ziele zum Verhängnis werden sollte«. Obgleich Dahlmann sein damaliges Handeln niemals verurteilte, fühlte er doch, seine Fähigkeiten überschritten zu haben. Er lehnte den Auftrag zur Regierungsbildung ab.

Bei aller Quellenkenntnis fehlt leider auch in dieser Biografie der Junghegelianismus. Der Hass der äußersten Reaktion (hier der Münchner Görres-Kreis) machte hellsichtig, als man 1851 Dahlmann mit Karl Rosenkranz und Arnold Ruge in einen Topf warf, was Bleek mit den bösesten Worten des ganzen Buches kommentiert. Tatsächlich aber gab es in Dahlmanns Leben zahlreiche Berührungspunkte mit den Junghegelianern. So war sein Schwager, der Hamburger Arzt Hegewisch in seiner Jugend nicht nur einer der aktivsten Ur-Burschenschaftler, sondern stand auch in Verbindung mit den »Hallischen Jahrbüchern«. Ruge hat im Oktober 1837 in Göttingen mit Dahlmann über die Gründung der Zeitschrift beraten, und der sagte, ebenso wie die Brüder Grimm, die Mitarbeit zu. Schon in den ersten Wochen ihres Erscheinens brachte die Zeitschrift eine »Charakteristik« Dahlmanns, die Bleek leider nicht kennt.

Anfang 1842 kam es in Jena zu einer »interessanten und vielverheißenden Bekanntschaft« mit Ruges engem Mitarbeiter Robert Prutz, der über Dahlmann urteilte: »Er ist persönlich bei Weitem liberaler und aufgeklärter, als ich glaubte. Es war mir eine ordentliche Wollust, doch einmal einen Mann zu finden, der politisches Interesse zeigte und mit dem eine angeregte und bedeutende Unterhaltung möglich war. Die Jahrb. interessiren ihn lebhaft, er erkennt ihre ganze Bedeutsamkeit wohl und liest sie eifrig«.

Die Niederlage der Revolution hat Dahlmann schwerer getroffen, als er sich wohl selbst eingestand. Mit einem richtigen Gefühl dafür hat Bleek daher das letzte Kapitel seines Buches, das nach Dahlmanns parlamentarischer Tätigkeit handelt, als eine Art Schlusswort gestaltet.

Wilhelm Bleek: Friedrich Christoph Dahlmann. Eine Biographie. C.H. Beck. München 2010. 491 S., geb., 34,95 €.

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