nd-aktuell.de / 07.12.2010 / Politik / Seite 8

Der Weg von Moskau nach Brüssel führt über Warschau

Medwedjew fliegt nach Polen-Besuch direkt zum EU-Russland-Gipfel

Irina Wolkowa, Moskau
Von Warschau aus fliegt Russlands Präsident Dmitri Medwedjew am heutigen Dienstag direkt zum EU-Russland-Gipfel nach Brüssel. Dort blickt man hoffnungsvoll auf die Annäherung zwischen Polen und Russland – zumal Warschau im zweiten Halbjahr 2011 die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Das polnische Misstrauen gegenüber dem östlichen Nachbarn erschwerte lange Zeit die Zusammenarbeit des Westens mit Moskau.

Es ist bereits der 26. Gipfel, zu dem Russland und die EU am heutigen Dienstag in Brüssel zwecks Vertiefung ihrer Partnerschaft zusammentreffen. Auf der Tagesordnung stehen Themen, an denen sich beide Seiten bereits seit Jahren abarbeiten: Energiepolitik, Modernisierungspartnerschaft, Visa-Erleichterungen und Russlands Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO.

Moskau bemüht sich um die Aufnahme in die Welthandelsorganisation bereits seit über 15 Jahren. Weil dafür jedoch bilaterale Protokolle mit allen Mitgliedern unterzeichnet werden müssen, scheiterte das Bemühen bisher an Vorbehalten Georgiens und vor allem der USA. Das Protokoll mit der EU dagegen soll am Dienstag in Brüssel unterzeichnet werden. So jedenfalls kündigte es der Chef der EU-Delegation in Russland, Fernando Valenzuela, am Montag vor einer Woche an.

Die von Russland gemeinsam mit Belarus und Kasachstan gegründete Zollunion, die der Westen mit Argwohn betrachtet, sollte aus Sicht von Premier Wladimir Putin kein Hindernis sein. Im Gegenteil: Vom Wegfall der Zollschranken zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken, sagte Putin bei seinem Deutschland-Besuch Ende November, würde auch EU-Europa profitieren.

Seit dem russisch-französisch-deutschen Gipfel in der Normandie im Oktober zeichnet sich Bewegung auch bei einem anderen Reizthema ab: gegenseitiger Visumszwang. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy meinte in Deauville, er könne sich in 15 bis 20 Jahren durchaus einen gemeinsamen Wirtschaftsraum und Freizügigkeit für dessen Bürger vorstellen. Bei Amtsbruder Dmitri Medwedjew rennt er damit offene Türen ein. Schon allein wegen des russischen Ostseegebiets Kaliningrad, das nach dem EU-Beitritt der Nachbarn Polen und Litauen gleichsam Inselstatus hat, was für die Einwohner bei jeder Reise in andere Regionen Russlands zeitraubende Formalitäten mit sich bringt, drängt vor allem Moskau auf Abschaffung der Sichtvermerke.

Wie ernst es Medwedjew damit ist, machte er Anfang November auf einer Pressekonferenz nach den Konsultationen mit seiner finnischen Amtskollegin Tarja Halonen klar: Endziel der Verhandlungen über Reisefreiheit sollte »eine absolut einfache Migrationsanmeldung oder der Verzicht darauf und die Abwesenheit von Visa« sein. Und damit ist Russland selbst im Zugzwang. Denn russische Bürger müssen sich nach der Einreise in die Schengen-Zone nur einmal polizeilich anmelden, Europäer in Russland dagegen an jedem Aufenthaltsort. Das ist eine Prozedur, die für Gäste wie Gastgeber mit erheblichem Aufwand an Zeit, Nerven und inzwischen auch Geld verbunden ist.

Im außenpolitischen Teil des Gipfels dürfte es neben Dauerbrennern wie Iran und Nahost auch um gemeinsames Konfliktmanagement auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR gehen. Vor allem um eine Lösung für die moldauische Dnjestr-Republik, die mehrheitlich von Slawen bewohnte Region am linken Ufer des Dnjestr, die sich 1992 vom überwiegend rumänischsprachigen Moldova am rechten Ufer lossagte. Dass es seit ein paar Monaten wieder Festnetz-Telefonverbindungen zwischen hüben und drüben gibt und moldauische Züge wieder durch die abtrünnige Republik fahren und dort sogar halten, haben Unterhändler aus Moskaus und Brüssel in monatelanger, mühevoller Kleinarbeit mit beiden Konfliktparteien erreicht. Auch aus Sicht des deutschen Bundestages ist die Dnjestr-Republik jener Konflikt im postsowjetischen Raum, wo am ehesten eine einvernehmliche Lösung möglich scheint. Der jüngste OSZE-Gipfel im kasachischen Astana allerdings bestätigte einschlägige Hoffnungen nicht.