Der Umgang mit den Schwächsten

Montags im ND: Serie zu Obdachlosigkeit in Berlin / Teil 1 »Salongespräch«

Serie Obdachlosigkeit: In Berlin leben Tausende ohne Wohnung. Viele von ihnen entsprechen nicht dem Bild des verwahrlosten Trinkers auf der Straße. Diese ND-Serie schaut genau hin: Wer landet ganz unten, und was für ein Leben ist das dort? Wer trägt die Verantwortung dafür, und welche Auswege gibt es?

Die Salonkultur pflegte einst das gutbetuchte Bildungsbürgertum. Kaum vorstellbar, dass sich eine solche gediegene Versammlung vor hundert Jahren über das »Lumpenproletariat« unterhalten hätte. Doch am Freitagabend lud der Bezirksverband der LINKEN in Pankow zum Roten Salon, um über die immer mehr werdenden Obdachlosen in der Stadt zu diskutieren. Durch die Runde führte Klaus Lederer, Landesvorsitzender der Linkspartei, der vorab seinen Anspruch formulierte: Für ihn misst sich die Qualität einer Gesellschaft immer danach, wie mit den Schwächsten umgegangen werde.

Doch – trotz Regierungsverantwortung seiner Partei – sieht die Wirklichkeit trist aus: Mittlerweile zieht ein ganzes Heer von Bettlern, Straßenzeitungsverkäufern und Flaschensammlern durch die Straßen. Die neoliberale Trickle-Down-Theorie, wonach Wirtschaftswachstum und der Reichtum der Elite in die unteren Schichten der Gesellschaft sickern soll, funktioniert nicht. Das ist in Berlin allzu deutlich zu sehen: In der Stadt gibt es offiziell 11 000 Wohnungslose – doch die Dunkelziffer ist weitaus höher.

Die Staatssekretärin Kerstin Liebich (ebenfalls LINKE) macht die Hartz-Gesetze für den Armutsschub verantwortlich. »Immer mehr private Haushalte sind überschuldet.« Die Schwelle zur völligen Mittellosigkeit sei für viele niedrig geworden. Zudem werden Bezieher von Transferleistungen immer häufiger stigmatisiert.

Einigen Bedürftigen bereitet die Pankower Suppenküche an sechs Tagen in der Woche eine warme Mahlzeit. »Der Zuspruch an unser Angebot ist ungebrochen«, erzählte Bruder Florian, der die Einrichtung leitet, den Salongästen. Der Franziskanermönch untermauerte Liebichs Beobachtung: Er macht unter seinen Gästen längst nicht mehr nur Obdachlose aus. Besorgniserregend sei allerdings, dass die Spenden für die Suppenküche seit einigen Jahren zurückgehen.

Dem Mönch gegenüber saß Karsten Krampitz, der in Lichtenberg mit Freunden das Nachtcafé »Gorki« führt. Obdachlose erhalten in den Räumen der Tagesstätte MUT in der Nacht von Donnerstag auf Freitag einen Schlafplatz. Solches Engagement ist bitter nötig, weil die 400 Plätze der öffentlich finanzierten Notübernachtungen in diesem Winter schon jetzt überfüllt sind. »Wir brauchen diese niedrigschwelligen Angebote«, gab Kerstin Liebich zu, weil das professionelle Hilfesystem der Stadt nicht mehr ausreicht.

Allerdings bekommen die Aktivisten des Nachtcafés »Gorki« keine finanzielle Unterstützung. Die Helfer schieben ehrenamtliche Schichten. Das ist für Krampitz unbefriedigend. Er wirft dem rot-roten Senat und den Bezirken denn auch fehlendes Engagement vor: »Die reichen das Geld an die Wohlfahrtsverbände weiter, in der Hoffnung, dass die ihre Arbeit tun. Das ist wie ein Ablasshandel.« Auch Klaus Lederer klagte die Geldtransfers an die Verbände an: Es gebe einen Wettbewerb um die niedrigsten Sätze. Er müsse mit ansehen, wie der soziale Markt nach den Gesetzen der freien Wirtschaft funktionieren soll. »Natürlich gibt es dann Gewinner und Verlierer« – und einen König der unteren Zehntausend, der sich großbürgerlich mit einem Maserati chauffieren lasse. Lederer findet das »pervers«.

Kerstin Liebich stimmte in diese Pauschalkritik nicht ein, sondern wies auf Verbesserungen in kleinen Schritten hin: Zwischen Bezirken und Jobcentern gebe es mittlerweile eine gute Zusammenarbeit. »Es werden keine Sanktionen mehr ergriffen, wenn diese zum Verlust der Wohnung führen.«

Eine ND-Serie wird an dieses Salongespräch anknüpfen und das Schicksal jener, die ganz unten stehen, an den kommenden Montagen genauer beleuchten. Dabei wollen wir aber auch mit jenen sprechen, die ihnen helfen, sich wieder aufzurappeln. Sei ihre Arbeit honoriert oder nicht.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal