Stern am Himmel

Michael Triegel: »Verwandlung der Götter« – Werkschau in Leipzig

  • Marion Pietrzok
  • Lesedauer: 6 Min.
»Verwandlung der Götter«, 2010 Fotos: VG-Bild-Kunst Bonn, 2010
»Verwandlung der Götter«, 2010 Fotos: VG-Bild-Kunst Bonn, 2010

Längst schon ist Michael Trie-gel ein Fixstern am Himmel der Malerei. Auch wenn er gerade wegen des Porträts Papst Benedikts XVI., das er dieses Jahr geschaffen hat und das jetzt im Museum der bildenden Künste Leipzig erstmals präsentiert wird, in die Schlagzeilen kam. Der in Erfurt geborene Leipziger hat ein reiches Oeuvre vorzuweisen: allein 330 Ölgemälde, geschaffen in 25 Jahren. Der Auftrag zum Papst-Porträt an den Künstler, der einst in Leipzig Student bei Arno Rink war und Meisterschüler Ulrich Hachullas, kam allerdings nicht von ungefähr: Seine Bilder gewähren ein Déjà-vu-Erlebnis: Als hätten die Alten Meister selbst – ein Raffael, Caravaggio, Tizian, Velázquez, Leonardo, Bellini, Pontormo oder Bronzino – den Pinsel geführt im kirchlichen Universum mit Heiliger Madonna, Christus am Kreuz, als Schmerzensmann, mit Christus' Tod, Auferstehung, Jüngstem Gericht oder Abendmahl.

Wie virtuos er die technischen Mittel beherrscht, die aufwendige Lasurmalerei, die die Farben so leuchtend und kostbar schimmernd macht, Tiefe gibt und Schmelz – einfach frappierend. Doch es ist keine äußerliche Virtuosität, sondern bei Triegel ist im besten Sinne »die Technik vergeistigt«. Verblüffend souverän schöpft er aus dem bekannten Themen- und Formenschatz christlicher Ikonografie und der griechisch-römischen Mythen. Wie kein Zweiter unter den Gegenwartskünstlern hat er sie parat. Er malt auch Stillleben, Landschaften und – besondere Spezialität – Porträts. All diese Bilder sind von vollendeter Schönheit. Mit Goethe gesagt: »Zeug zum Rasendwerden, schön und toll zugleich«.

Auf den ersten Blick scheint man mit der Personnage und den Requsiten auf seinen Gemälden hinlänglich vertraut zu sein, mit Medea, Persephone, Ariadne, Narziss oder Salome, mit Kreuz, Fisch, Lamm, Muschel, Ei oder Nelke. Aber dann, bei näherem Hinsehen, wirkt alles recht rätselhaft. Denn die Bilder sind keine Neudeutungen des Alten, keine Kopien, keine Nachahmungen. Sondern ein zutiefst ernsthaftes, mit größter Sachkenntnis und Gedankenkraft gehandhabtes planvolles Zitieren, Kombinieren, Paraphrasieren. Als hebe der junge alte Meister aus einem Mosaik aus losen Steinen die Partikel mit wissender Sicherheit auf, schüttele sie mit mehr oder weniger Rücksicht auf ihre althergebrachte Bedeutung, füge sie, seinem persönlichen Aussagebedürfnis folgend, zu einem virtuosen Mix zusammen, und zum Vorschein kommen Erzählungen ganz eigenen Inhalts.

Sie handeln von ihm selbst, als einem Menschen der Gegenwart, die er auf ihre Werte, Triebkräfte und menschliche Konditionierungen hin durchforscht. Präzise, ohne jede Zufälligkeit und mit faszinierender, augentrügerischer Schärfe bis ins allerletzte, allerkleinste malerische Detail verwandelt er die (Maler-)Götter – das macht die Malerei Triegels so besonders. Voller Esprit erzählt er damit Geschichten, die auch des Betrachters eigenes Erleben ansprechen, auf provozierende Weise elementar Menschliches wie Wünsche, Sehnsüchte, Glauben, Hoffnungen, Sinnsuche, Einsamkeit zum Thema haben und in denen Menschen auch Repräsentanten von Ideen sind. So ist es eine (Augen-)Lust und immer ein großer Erkenntnisgewinn, ihm auf seinen Wegen zu folgen. Voraussetzung: Man muss nur die Kunstwerke erschauen wollen.

»Altbacken«, wie Oberflächlinge und Neider schmähen, und »rückwärtsgewandt« ist Triegels Kunst nicht. Eher verwandt mit Caravaggio, dem Revolutionär, der die himmlischen Sphären vermenschlichte und im Alltäglichen des Menschen das Göttliche behauptete. Triegel hat sich durch seine künstlerische Position unversehens die Bürde aufgeladen, ein Außenseiter des überhitzten Gegenwartskunstrummels zu sein. Der neuigkeitsgierige Kunstbetrieb, der Triegels Art, der Welt und den Dingen auf den Grund zu kommen, ad acta gelegt hat, fühlt sich provoziert: Tafelmalerei, figürliche Malerei und altmeisterliche Malerei (um Nuancen surrealistisch verschoben) heißen die Reizworte. Sein vielleicht aus Selbstverteidigung erwachsenes Credo ist nachvollziehbar: Er malt gegen Beliebigkeit in der modernen Kunst, gegen Ort- und Traditionslosigkeit des modernen Menschen an.

»Verwandlung der Götter«, sein frisch von der Staffelei gekommenes Gemälde, gab denn auch den Titel der Ausstellung in Leipzig. Unter den rund 70 Werken von 1993 bis 2010 das Medienevent: das im Auftrag der Diözese Regensburg geschaffene Porträt Benedikts XVI., einschließlich der Porträtstudien. Der kirchliche Oberhirte nicht geschönt, als Ikone gezeigt, sondern als Mensch. Als gelehrter, zweifelnder, mithin kluger, als lebenserfahrener alter Mann, der zwar etwas zusammengesunken sitzt, der Rücken krumm und die Soutane im Nacken leicht verschoben, die Lippen zu bemühtem Lächeln verzogen, aber mit wachem, geradezu auf den Betrachter gerichtetem Blick. Ohne Triumph, ohne Bedauern, eher ein So-bin-ich.   

Den Maßen nach ist das Gemälde lebensgroß, die physiognomische Ähnlichkeit mit dem Dargestellten offenbar. Farb- und Formgebung der kompositorischen Details – auch der Sessel als Symbol des thronenden Herrschers, Ring und Brustkreuz fehlen nicht als Requisiten – tragen die eigene Triegel-Handschrift der vielfachen Anspielungen und Bedeutungen. Zum Beispiel die fast aus der Fläche herausragende rechte Lehne des Stuhls Petri mit schlüsselbartgleichen Schnörkelstützen unter der rechten, beringten Hand Benedikts XVI. Oder die fast linkische Haltung der linken Hand, die ein unbeschriebenes (?) Blatt hält. Dessen eine Spitze wiederum berührt das hellgoldene Kreuz, in dem sich Göttliches und Irdisches zugleich symbolisieren. Das Weiß der Soutane, das Rot des Stuhlpolsterstoffs, das brokatene Granatapfelmuster, in dem sich auch das Papstsiegel abzeichnet, das leere Schwarz als raumfüllender Hintergrund. Und so fort, und so fort.

Auch ist eine leichte Untersicht gewählt. Sie schafft Distanz. Und man kann fragen, ob sie als würdevolle Entfernung des Ehrfurchtgebietenden zu lesen ist, als Achtungsgeste seitens dessen, der sich unter den Augen des irdischen Gottesstellvertreters befindet, oder als Sichabwenden der Gläubigen von der katholischen Kirche der frommen Fassade. Er habe nicht, sagt Triegel, zweitausend Jahre Kirche und 500 Jahre Kunstgeschichte dem Bildnis einschreiben können. Und allen, die einen Kommentar zur aktuellen Kirchenpolitik erwarteten, diktiert er das Malereieinmaleins: Das kann ein Porträt nicht leisten. Oder mit Max Liebermann gesagt: »... verwechsle man Kunst nicht mit Ethik oder Moral: Moralische Wirkungen gehen von Kunst aus, aber ...« – und Liebermann beruft sich auf Goethe – »›moralische Zwecke vom Künstler zu fordern, heißt ihm sein Handwerk verderben‹.«

Man weiß: Ungesagtes, Unsagbares enthält ein gutes Kunstwerk auch dann, wenn es der Betrachter für sich entschlüsselt zu haben meint. Allerdings, so kommt es vor in der Kunstgeschichte, es kann auch klüger sein als der Autor. – Was wird das Bild zu den Kirchenleuten sprechen, wenn es dann im Regensburger Institut Papst Benedikt XVI., bei den Gemälde-Auftrag-Gebern, hängt?

Michael Triegel. Verwandlung der Götter. Museum der bildenden Künste, Katharinenstraße 10, Leipzig, bis 2. Februar 2011. Di und Do-So 10-18, Mi 12-20, Feiertage 10-18 Uhr; Begleitprogramm.

Katalog: Michael Triegel. Verwandlung der Götter. Hg. v. Richard Hüttel. Hirmer Verlag, 224 Seiten, 138 Farbtafeln und 27 Abbildungen in Farbe, geb., 39,90 €.

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