Anna, Hella

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Da war zum Beispiel Thomas Langhoffs Fernsehfilm »Befragung Anna O.« (1977). Die junge Frau bringt einen Funktionär, der da in seiner ahnungslosen Siegeslaune Aktivistennadeln austeilt, arg in Verlegenheit – mit ihrem luftigen Sommerkleid und einem, ja, so kann man das wohl sagen: selbstbewussten Lächeln ihres Dekolletés: Wo soll der arme Mann das Abzeichen anstecken? Später dann die Geehrte allein zu Haus: Schnaps, Radio, ein nächtliches Verdämmern so ganz im Gegensatz zum morgendlichen FDGB-Frohsinn. Jutta Wachowiak als junge Variante jener Frau auf Wolfgang Mattheuers traurigem Brigade-Bild »Die Ausgezeichnete«. Wachowiak: die Einsamkeit einer Langstreckenläuferin durch tristen, wohnungszellengrauen Alltag. Und doch ist da ein schöne, fast unmerkliche Lust: Nichts ist größer als das Leben!

Das kann die Wachowiak mit der Verve einer Marktfrau spielen, andererseits aber gibt es nichts Verletzbareres als das Lebendige. Das wiederum spiegelt die Schmalheit ihres Gesichts, von dem man sonst den Eindruck hat, dass es die Direktheit liebt, das Draufzu. Ihrem Spiel wächst aus Narbenwuchs über Wunden ein gesunder Witz zu. Ihr wird jeder Deckel, der einen Schrei einsperrt, zur Krone. Die den Schmerz mit Verschweigen adelt. Ihn freilich nicht aufhebt. Das denken nur die anderen. Frauentapferkeit heißt: andere bei diesem Glauben lassen. Aber weiter leiden.

Die Charly von Plenzdorfs Wibeau als freche junge Wilde. Tschechows Sonja als liebesssehnsüchtiges Menschlein, das von niemandem erhört wird und mit Unerhörtem antwortet: mit erschütternder Herzensbeherrschung. Schillers Maria Stuart (zwei Jahrzehnte im DT-Spielplan) als Staatsvirtuosin eines unbändigen Privatzorns. Hauptmanns Mutter Wolff als berlinerndes Maschinengewehr Hauptmanns; die Zunge als Sprengsatzlager. Fünfunddreißig Jahre war die einstige Berliner Stenotypistin, die in Babelsberg studierte und am Theater des Gerhard Meyer in Karl-Marx-Stadt aufhorchen ließ, am Deutschen Theater Berlin. Seit 1970. Quasi eine Schülerin, bald Meisterin (zunächst, vor allem) bei Wolfgang Heinz. Später eine Thomas-Langhoff-Protagonistin. Mit dem es dann, künstlerisch, Zeiten gab, da sie sich allein gelassen fühlte. Unbesetzt. Und noch später meinte sie, eine Gezeichnete zu sein, unsichtbar das Schild: »Altlast«.

Sie ging. Spielte in Essen. Neuanfang. Auch so ein Wort – das einer Tugend just das abspricht, was doch ebenso einen Impuls gibt, wie es die Freude kann: Not nämlich. Es geht gar nicht um Neuanfang, es geht um Verteidigung – dessen, was man ist und bleiben möchte. Von Maßstäben gehalten.

Ihre Filme: bei Gräf, Zschoche, Beyer, der Trotta. Ihre »Verlobte«, im Film von Günther Reisch und Günter Rücker – das bleibt europäische Kunst. Ein sanfter Mensch im Widerstand gegen Hitler. Die Wachowiak spielt vor, wie eine junge Frau von Reinheit überwältigt wird. Nichts Angelegtes, Vorgeformtes. Man ist ja nie genügend vorbereitet auf das, was uns gut macht (deshalb ist keiner abgesichert gegen das, was böse macht). Wachowiaks Hella Lindau: das Härteste, was Menschen abverlangt werden kann, in so schüchtern-lieber Gestalt.

1989, als das friedliche Revolutionsgefühl auch ihr den Herbst gewärmt hatte, gehörte sie zur Kommission, die Polizeiübergriffe untersuchte: »Es war unerträglich, die Täter hatten kein Unrechtsgefühl – keiner von denen sagte, es tue ihm leid, es hätte so etwas nicht geschehen dürfen.«

Heute feiert Jutta Wachowiak ihren 70. Geburtstag.

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