Mit Kakao für ein besseres Leben

Jugendliche in Nicaragua und ihre »süße« Arbeit

  • Willi Volks
  • Lesedauer: 6 Min.
Wir sind auf dem Weg nach El Jobo im Landkreis Pancasán im Norden Nicaraguas. Würde ich nicht wissen, dass sich dort das Büro der Kooperative »Flor de Pancasán« (Blume von Pancasán) befindet, so würde mir der Ort kaum auffallen. In der Kooperative »Flor de Pancasán« arbeiten einige der Kleinstunternehmer aus dem ADDAC-Projekt, das von INKOTA unterstützt wird. Deshalb haben wir uns auf den Weg nach El Jobo gemacht.

El Jobo ist ein Ort, der wie viele andere nicaraguanische Dörfer an einem kaum befahrbaren Landweg gelegen ist, der sie mit der nächsten Stadt verbindet. Über genau diesen Weg balanciert Julio Gómez, der Direktor von ADDAC (Verein für landwirtschaftliche Gemeindeentwicklung), das Auto gefühlvoll mit etwa 30 Stundenkilometern. In El Jobo angekommen, treffe ich mich im Büro der Kooperative mit Kelvin Martínez und Avidán Rivera, beide 24 Jahre alt. Sie gehören zur Leitung der Jugendgruppe der Kooperative, deren Arbeit INKOTA mit dem Projekt unterstützt.

Alle lieben Messi und »Osil«

Anfangs sprechen wir über die Baumschulen, die sie mit Kindern in Schulen angelegt haben, um demnächst Wiederaufforstungskampagnen zu starten. Dann schwärmen sie, dass durch das Projekt die Möglichkeiten zum Sporttreiben verbessert werden. Das finden sie besonders toll, denn sie sind Fußballfans, und als Amerikaner vergöttern sie natürlich den argentinischen Superstar Lionel Messi. Aber auch der Deutsche »Osil« hätte bei der WM sehr gut gespielt.

Schließlich kommen wir auf die Kleinkredite zu sprechen, die durch das Projekt vergeben werden. Beide haben schon durch das Vorläuferprojekt Kredite bekommen. Kelvin hat damit eine Schafhaltung aufgebaut, Avidán eine Milchkuh gekauft. Sie konnten ihre Kredite vorfristig zurückzahlen. »War das denn so leicht?«, will ich wissen. »Ja, weil wir das Glück hatten, eine bezahlte Arbeit in der Kooperative zu erhalten«, antwortet Kelvin. »Aber die Rückzahlungsquote ist mit fast 90 Prozent ziemlich hoch«, ergänzt Avidán. Das sei vor allem darauf zurückzuführen, dass ADDAC vor einer Kreditvergabe alle Jugendlichen schult. Dazu gehört auch, dass eine Rentabilitätsrechnung für das geplante »Kleinstunternehmen« aufgestellt und die Höhe und Laufzeit der Rückzahlung entsprechend bestimmt werden. »Unternehmen« dieser Art können ebenso eine Milchviehwirtschaft, eine Schaf- oder Ziegenhaltung sein, eine Imkerei, eine Maismühle oder eine kleine Schneiderei. Ich beschließe, mich in den nächsten Tagen noch mit mehreren dieser jugendlichen »Kleinstunternehmer« zu unterhalten – schließlich ist die Kreditvergabe eine wesentliche Komponente des Projekts, das von INKOTA unterstützt wird.

Zunächst aber setzen wir unser Gespräch über die Arbeit von Kelvin und Avidán fort. Beide sind seit knapp zwei Jahren in der Kakaoverarbeitung bzw. in der Milchannahmestelle der Kooperative beschäftigt. Bei dem Stichwort Kooperative meldet sich Julio Gómez zu Wort, der bisher sehr interessiert zugehört hat. Das Prinzip von ADDAC bei der Arbeit mit Kooperativen sei es, kleinbäuerliche Familien zu unterstützen, deren geringe Produktionsmengen normalerweise nicht für eine Vermarktung ausreichen. Zusammen mit anderen Kooperativenmitgliedern gelingt es ihnen jedoch mitunter sogar, dass sie ihre Produkte exportieren und damit ein Einkommen erzielen, das sie in Nicaragua nicht erhalten könnten. Dies sei sowohl bei Kakao als auch bei Milch der Fall.

»Exportieren?« frage ich etwas ungläubig. Doch Julio Gómez lächelt nur und meint, dass das schon klappt, zum Beispiel wenn ein Deutscher des Weges käme. Nun bin ich noch verdutzter. Doch sogleich werde ich aufgeklärt, dass man den Kakao für Ritter Sport produziert. Meine Skepsis ist noch nicht verflogen, denn ich weiß um die Abhängigkeiten, in die sich Kleinbauern durch eine Exportproduktion begeben können. Doch auch hier hat Julio eine Antwort parat. Zum einen seien die Mengen an Kakao so klein, dass die Bauern schon allein deshalb ihre Produktion diversifizieren müssten. Auch könnten sie keine größeren Mengen an Kakao anbauen, da ihre Grundstücke viel zu klein wären. Deshalb bezieht Ritter Sport seinen Kakao auch von insgesamt 15 nicaraguanischen Kooperativen.

Außerdem sei Kakao geradezu eine ideale Kultur für eine Agroforstwirtschaft, bei der Land- und forstwirtschaftliche Anbaumethoden kombiniert werden. Einheimische Pflanzen wie Bananen, Mais, Kakao oder Bohnen werden als »Untersaat« von Bäumen für die Wiederaufforstung genutzt und haben somit mehrfachen Effekt: Produktion und Aufforstung auf einer kleinen Fläche, Reduzierung der Erosionsgefahr in den Parzellen, die fast ausschließlich Hanglage aufweisen – und das alles bei strikter organischer Produktion.

Süße Bohnen für den Export

Solcherart landwirtschaftlich aufgeklärt machen wir uns auf den Weg, um die Fermentierungs- und Trocknungsanlage für den Kakao zu besichtigen. Und was ich dort sehe, bestätigt die vorangegangenen Erklärungen: eine kleine, auf die Abgabemengen der Bauern abgestimmte Anlage mit angepassten einfachen Techniken.

Als dann Julio auch noch zu berichten weiß, dass Verantwortliche von Ritter Sport, einschließlich des Chefs, des öfteren in Nicaragua waren und sich sehr darum bemüht hätten, dass Kleinbauern diese Chance zur Verbesserung ihres Lebens erhalten, verließ ich doch recht beeindruckt die Anlage in Richtung Milchannahmestelle.

Auch hier ist die Milch für den Export bestimmt, und auch hier sind kleine Bauern die Nutznießer. Sie kommen zum Teil zu Pferde mit zwei kleinen Milchkannen zu der Aufkaufstelle, um die Milch abzugeben, die dann nach El Salvador exportiert wird. El Salvador mit relativ großer Bevölkerung und geringen landwirtschaftlichen Nutzflächen, setzt unter anderem auf Nahrungsmittelimporte.

Stabiles Einkommen noch die Ausnahme

Einer der Nutznießer – und zwar im doppelten Sinne – ist Avidán. Er arbeitet in der Abnahmestelle und ist zugleich sein eigener Lieferant. Denn zu der einen Kuh, die er sich von dem Kredit gekauft hat, sind inzwischen weitere fünf Kühe hinzugekommen. Abgesehen von der relativ kleinen Menge Milch für den Eigenverbrauch, geht die ganze Produktion an die Aufkaufstelle der Kooperative. Damit erzielt er mit seinen jungen Jahren ein regelmäßiges Einkommen, was in Nicaragua auf dem Land wahrlich nicht oft der Fall ist.

Ähnlich geht es auch Kelvin, wobei er berichtet, dass dies noch nicht lange so ist. Ohne die bezahlte Arbeit hatte er zeitweise Schwierigkeiten, seinen Kredit abzuzahlen. Dies vor allem, weil er jedes zweite Wochenende nach Managua fährt, um zu studieren. Das Fahrgeld, die Kosten in der Hauptstadt und auch der Ausfall der Arbeitszeit erschwerten eine Zurückzahlung des Kredits erheblich. Letztlich sprang sein Vater zeitweise mit den Ratenzahlungen ein, auch ein wenig stolz darauf, dass sein Sohn in zwei Jahren Agraringenieur sein wird.

Auch dazu hat Julio Gómez, als wir später wieder im Auto sitzen, die letzte Erklärung: Durch Weiterbildung und Wissensvermittlung in dem Projekt wird ein Teil der Jugendlichen angeregt, noch weiter zu lernen. Vor dem Projekt haben sie immer nur erfahren, das sie und das Leben auf dem Land nichts wert sind. Sie haben keine ordentliche Schulausbildung erhalten, sie haben weder einen Berufs- noch Studienabschluss, und ihr Leben im Dorf war bisher entsprechend perspektivlos und unattraktiv. Mit dem Projekt machen sie erstmals die positive Erfahrung, dass dies nicht zwangsläufig so sein muss.

Der Autor ist Projektreferent bei INKOTA für Zentralamerika.

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