Der Zauber des Lichts

Dem »Intimisten« Pierre Bonnard widmet das Von der Heydt-Museum Wuppertal eine große Retrospektive

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 5 Min.

Wie andere französische Maler glaubte Pierre Bonnard, ein früher Anhänger Gauguins und der japanischen Kunst, dass der Aufenthalt am Mittelmeer das einzig Richtige für seine Gemütsverfassung wäre. Nach vielen Malausflügen in das Tal der Seine und überhaupt in den Süden bezog er schließlich 1926 ein Haus in Le Cannet in der Nähe von Cannes. Während seine Arbeiten – eine verfeinerte und intensivierte Form des Impressionismus auf der Grundlage von schimmernden, leuchtenden Farboberflächen – einerseits viele Bewunderer und Sammler fanden, kamen sie andererseits schon Mitte der 20er Jahre einigen Künstlerkollegen recht antiquiert vor. Picasso erschienen sie dekadent, »ein Potpourri der Entschlusslosigkeit«, das nicht die Disharmonie und die entschiedenen Kontraste besaß, wie er sie in seinen Bildern schätzte. Die Frage, ob Bonnard »modern« ist, wird aber gegenstandslos, wenn man sie auf dem Hintergrund der distanzierten, gedankenvollen Schönheit seiner Arbeiten sieht, einer Schönheit von solcher Intimität und bis ins Kleinste reichenden Intensität, dass sie den Vergleich mit dem späten Claude Monet und dessen experimentellen Farbtechniken durchaus nicht zu scheuen braucht.

In einer umfangreichen Schau werden in Wuppertal Gemälde, Zeichnungen und druckgrafische Arbeiten aus allen Schaffensphasen dieses Künstlers gezeigt, dazu frühe Amateurfotografien und eine seiner Skulpturen. Bonnard hat zwar auch Plakate, Bühnenbilder, Kostüme und Illustrationen geschaffen, sein Hauptwerk besteht jedoch aus Genrebildern, Akten und Landschaften in subtil abgestufter Farbigkeit: Figurendarstellungen, Familienszenen, Pariser Straßenszenen, Darstellungen von Innenräumen, Stillleben, Bad- und Boudoirszenen, Bilder von Stränden, blühenden Gärten und sommerlichen Landschaften.

Bonnard war ein »Intimist«: Ihn inspirierten kleine, einfache Szenen aus dem Privatleben, in Haus und Garten. Wenn er in einem unbewachten Augenblick die Menschen und Dinge beobachten konnte, dann wurden sie unversehens zu Akteuren in einem Drama – manchmal auch einer Komödie – von kleinen Ereignissen. Wie obsessiv betrieb er die Beobachtung der Dinge, das zufällige Arrangement von Krügen, Schüsseln und Tellern auf einem Frühstückstisch oder die sich hier wie unbeabsichtigt aufhaltenden Personen, die mitunter links oder rechts im Bild nur halb zu sehen sind. Bonnard saß ruhig beobachtend und überraschte immer wieder die vertrauten Dinge in seinem Blickfeld, beschnitt sie auf merkwürdige Weise, malte sie von unerwarteten Winkeln aus und ließ sie in plötzlich aufglänzenden Farbschauern von Rosa, Krapprot, Flieder, Chromgelb, Chromgrün und hellem sonnengesprenkeltem Grün zergehen.

Fast jedes Bild weist irgendein überraschendes, bisweilen fast paradoxes Moment auf, das man ergründen muss: ein ungewöhnlicher Ausschnitt, das Fragment eines überschnittenen Gegenstandes am Bildrand, einen vereinzelten Farbfleck, der sich dem Gesamtton entgegenstellt, feine vergeistigte Züge von echt französischem Esprit, die an die Erfindungen aus der Frühzeit der Nabis erinnern, jener Künstlergruppe Ende des 19. Jahrhunderts, der Bonnard selbst angehörte. Die Materie erscheint auf diesen Bildern halbgeformt und erweckt den Eindruck, als wolle sie sich jeden Augenblick in dem Licht auflösen, aus dem sie gemacht ist.

Es ist fast immer die gleiche Frau, Marie Boursin, bekannt als Marthe, die Bonnard als Modell für seine eindrucksvollen erotischen Bilder diente – ein Mädchen, das sich in der blauen Dämmerung des Schlafzimmers wollüstig im Schlaf räkelt, das sich animalisch in der Badewanne aalt oder sich – unbeobachtet glaubend – der Körperpflege widmet. Nach einer mehr als 30-jährigen Verbindung heiratete er Marthe schließlich, und sie lebten bis zu ihrem Tod zusammen. Er war ihr total und auf masochistische Weise ergeben, obwohl sie eine nörgelnde Neurotikerin war. Aber Bonnard war wie besessen von ihr und den Erinnerungen an sexuelle Freuden: der Intimität und flüchtigen Blicke, der Art, wie Paare, die sich lange kennen, den Körper des anderen als selbstverständlich hinnehmen, dem Gefühl, dass das Auge Anteil an allen Geheimnissen hat. Als sie schon 60 war, malte er immer noch ihren 30-jährigen Körper. Bis zuletzt spielte sie ihre Rolle, in sich selbst vertieft, Gegenstand seiner Blicke: Bonnard löste sie in Licht auf, erschuf sie in Farbe neu und besaß sie, aus der Ferne liebend, wieder und wieder. Ein überweltliches Licht erfüllt den Raum, verwandelt ihn in Perlmutt und Opal.

Man hat oft gesagt, dass die Entdeckung des Mittelmeeres Bonnard zur Aufhellung seiner Palette geführt habe. Doch eine Frau verwandelt sich nicht plötzlich in lebendiges Goldgelb, nur weil sie in mediterranes Sonnenlicht eintaucht. Bonnards Farben wurden über die Jahre zu Farben seines Inneren, sein inneres Auge erblickte sie. Er malte, was er als richtig empfand, und nicht, was er sah, wie es die Impressionisten taten. In Bonnards Farben sind eine Freiheit und eine Kühnheit, zu denen die Impressionisten selten vorstießen. Licht ist nicht etwas, das nur gerade beleuchtet, was vor unseren Augen ist, wie die Impressionisten glaubten. Licht ist wie ein Rauschmittel, das im inneren Auge eine ganz neue Wirklichkeit schafft, die mit der objektiven Welt, die wir um uns sehen, kaum noch etwas zu tun hat.

Seine ungewöhnlich komplizierten Kompositionen und Blickwinkel, Spiegelungen und raffinierte Farbigkeit sind nicht mehr mit dem Begriff Post-Impressionismus zu fassen. Im Nie-ganz-Ausgesprochenen, im Nur-Angedeuteten liegt der sich immer wieder erneuernde Zauber seiner Kunst.

Bonnard – Magier der Farbe. Von der Heydt-Museum Wuppertal, bis 30. Januar 2011. Katalog.

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