Geschlossenes Heim light

Rot-Rot richtet sechs Plätze für unter 14-Jährige ein, die sich selbst oder andere gefährden

  • Lesedauer: 3 Min.
Das Land Berlin plant eine Einrichtung für straffällige Kinder und Jugendliche, aus der sie nicht einfach weglaufen können. »Insgesamt sechs Plätze sollen spätestens bis zum nächsten Sommer eingerichtet werden«, erklärte Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) am Mittwochabend. Das sei das Ergebnis einer Arbeitsgruppe aus Polizei, Jugendbehörden und Senat, die im Sommer dieses Jahres eingesetzt worden war, um eine Lösung für den Umgang von immer wieder von der Polizei aufgegriffenen vermeintlich minderjährigen Dealern mit Flüchtlingsstatus zu finden, die die Behörden und die Medien damals beschäftigten.

Ein geschlossenes Heim, wie es etwa aus Hamburg bekannt ist, soll es in Berlin aber nicht geben, betonte Zöllner. Er nannte es stattdessen ein »Heim mit Verschlussmöglichkeit«. Bis zur Fertigstellung der neuen Einrichtung greift das Land in einer Übergangsphase weiter wie bisher auf die vier Plätze im brandenburgischen Frostenwalde zurück. Diese Plätze waren in den vergangenen Monaten zu 50 Prozent belegt.

Neben dem Beschluss für ein Heim schuf die Arbeitsgruppe zudem verbindliche Regelungen im Umgang mit den von der Polizei aufgegriffenen straffälligen Minderjährigen. »Die gelten ab sofort«, sagte Zöllner. Erster Ansprechpartner für die Polizei sei demnach weiter der Kinder- und Jugendnotdienst. Dieser klärt, ob ein Kind oder Jugendlicher mit »freiheitsentziehenden« Maßnahmen belegt wird. Danach überprüft und gegebenenfalls verlängert diese Maßnahme ein Familiengericht, das dafür jederzeit erreichbar ist. Bei ad-hoc Unklarheiten übers Alter stellt die Charité ebenfalls einen Rund-um-die-Uhr-Service zur Altersfeststellung zur Verfügung. »Das größte und wichtigste Klinikum nicht nur Deutschlands, sondern Europas, muss auch in der Lage sein, diese Dienstleistung 24 Stunden zu machen«, sagte Zöllner.

Mit diesem Gesamtpaket glaubt die Arbeitsgruppe, die Hauptprobleme des Sommers ausgeräumt zu haben: Fluchtmöglichkeiten seien minimiert, Altersfeststellungen, die teils Monate dauerten, künftig schneller möglich. Außerdem ist die Erreichbarkeit der Ansprechpartner und Gerichte verbindlich geregelt. Die Vorgaben gelten im Übrigen nicht nur für minderjährige Flüchtlinge, sondern genauso für ihre deutschen Altersgenossen. Als Betreiber für das neue Heim hat der Senat zwei Kooperationspartner aus der Jugendarbeit gewinnen können: die Stiftung zur Förderung sozialer Dienste Berlin (FSD) sowie das evangelische Jugend- und Fürsorgewerk (EJF). »Wir betreuen bereits jetzt in zwei Einrichtungen Kinder und Jugendliche, die aus sozialen und kriegerischen Schwerpunkten dieser Welt kommen«, sagte der Vorsitzende der FSD-Stiftung, Georg Siebert. Die Aufgabe in dem neuen Heim sei es, innerhalb eines Zeitraumes von bis zu sechs Monaten eine Klärung herbeizuführen, so dass die Kinder in die normale Obhut der Einrichtungen eines Bezirks überführt werden können.
Dieses »Clearing-Verfahren« wird vom EJF unterstützt. Doch was ist der Unterschied zu den massiv kritisierten geschlossenen Einrichtungen? Schließlich soll auch in Berlin gewährleistet sein, dass die Jugendlichen nicht entweichen können. »Wir setzen auf das Konzept Menschen statt Mauern«, erläuterte Michael Piekora vom EJF. Das heißt, zwei Pädagogen betreuen ständig die Kinder – auch des Nachts. Hinzu kommen Sprachlehrer und interkulturelle Fachkräfte, so dass klare Tages- und Beschäftigungsstrukturen sichergestellt sind. Dennoch werden Fenster nur kippbar und Türen gesichert sein. Für akute Gefährdungssituationen gibt es zudem einen »Time-Out-Raum«, der die Jugendlichen, aber auch ihr Umfeld schützen soll. Beim Berliner Flüchtlingsrat ist man unterdessen über die widersprüchlich klingenden Signale von Senat und Träger irritiert. »Berlin braucht kein geschlossenes Heim«, erklärte ein Vorstandsmitglied gegenüber ND, »sondern eine bessere Betreuung der Flüchtlinge.« Ähnlich äußerten sich die Grünen.
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