Eine Lektüre des Schreckens?

Ralph Giordano über islamistische und rechte Gefahren

  • Lesedauer: 3 Min.

ND: Sie sind in diesem Jahr 87 Jahre alt geworden, in Ihren Tagebuchaufzeichnungen klingt jedoch immer noch Kampfeslust durch.
Giordano: Die Erfahrungen mit der Nazi-Zeit haben mich zum Kämpfer gemacht. Ich war 1933 zehn Jahre alt und 1945 bei der Befreiung durch die Briten 22. Auch in den 65 Jahren danach gab es vieles, was mich entsetzt hat, aber auch ermutigt. Mein Leben ist geprägt von der Auseinandersetzung mit einer Welt, die nicht so ist, wie ich sie haben möchte.

Wie ernst nehmen Sie die Gefahr von rechts in Deutschland?
Sehr ernst. Mir ist es unheimlich, dass die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus viel länger dauert als seine historische Existenz. Noch 65 Jahre nach Hitlers Untergang müssen wir erkennen, dass es demokratiefeindliche und demokratiefremde Milieus in Deutschland gibt. Der Nationalsozialismus muss sehr tief im Volksbewusstsein verankert gewesen sein, um auf Generationen überzugreifen, die in jeder Beziehung schuldlos sind an diesen Verbrechen, aber trotzdem von seinen Ideen besetzt sind. Ich lese mit Entsetzen im jüngsten Verfassungsschutzbericht, dass es 20 000 rechtsextrem motivierte Anschläge gegeben hat mit Tausenden von Gewalttaten. Was wabert da noch in manchen Köpfen herum, die ja überhaupt keine Verbindung zur Nazizeit haben? Die Demoskopen sagen, dass 43 Prozent der Deutschen ein ambivalentes Verhältnis zu Juden haben. Es gibt also genügend Dinge, die stutzig machen.

Früher wurden Sie von Rechten bedroht, heute von radikalen Muslimen. Kann man mit denen diskutieren?
Mit denen, die mich anrufen, kann man es nicht. Nicht Thilo Sarrazin hat eigentlich dieses Thema angestoßen, sondern ich war es. Und zwar durch ein Streitgespräch, das ich am 11. Mai 2007 in Köln mit einem hohen Verbandsfunktionär der Türkisch-Islamischen Union, DITIB, hatte. Ich habe damals gewagt, die Köln-Ehrenfelder Großmoschee infrage zu stellen. Wer es wagt, den Islam zu kritisieren, wird von den politisch korrekten Multikulti-Illusionisten und Gutmenschen vom Dienst sofort als Rassist und Fremdenfeind stigmatisiert. Ich bin aber kein Türkenschreck und kein Antimuslimguru. Ich habe nicht zum Bürgerkrieg aufgerufen, sondern ein von feigen deutschen Politikern lange geschöntes und tabuisiertes Problem in die Öffentlichkeit gebracht.

In Ihrem Buch attestieren Sie der islamischen Gesellschaft eine »sexistische Grundstruktur« und Stagnation – nach vielen kulturellen Höchstleistungen in der Vergangenheit.
Unser Kulturkreis, der Judaeo Christiana, hat in den letzten 500 Jahren neben fürchterlichen Verbrechen einen gewaltigen Sprung nach vorne getan – durch die Renaissance, die Aufklärung, bürgerliche Revolutionen. Genau das hat der Islam nicht getan. Es sind kritische Muslime wie Orhan Pamuk, Necla Kelek und Zafer Senocak, die sagen, dass der Islam selbst das Problem ist, dass er sich nicht an die Moderne anpassen kann. Hinsichtlich der Vereinbarkeit des Islam mit Demokratie, Gleichstellung der Frau, Pluralismus und Meinungsfreiheit ist mein Optimismus sehr begrenzt.

Ist der Islam trotz allem an sich eine friedliche Religion?
Ich habe den Koran gelesen. Es ist eine Lektüre des Schreckens und des Wahnsinns. Der Islam ist keineswegs nur eine friedliche Religion, wie immer getan wird von diesen Beschwichtigern. Das Christentum natürlich auch nicht. Aber es hat vieles hinter sich gebracht.

Fragen: Olaf Neumann

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