Kuscheln mit Schnattchen

WEIHNACHTSGANS

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 2 Min.

Nein, Auguste hieß sie nicht, und ihr Schicksal war auch ein anderes als das, von dem uns Friedrich Wolf erzählte. Und dennoch: Auch sie war eine Weihnachtsgans, ihr Name war Schnattchen.

Meine jüngere Schwester hatte sie vor fast 50 Jahren irgendwann im Oktober in einer Tombola gewonnen, worüber wir Kinder uns freuten und die Eltern sich auch. Wir Kinder nannten sie Schnattchen und liebten sie heiß und innig. Die Eltern indes waren voller Vorfreude auf einen schönen und preiswerten Braten. Wir Kinder spielten mit der Gans (ND-Foto: Frotscher), die schon bald recht zahm war, die Eltern verwöhnten das Tier mit Leckerbissen, damit es an Gewicht zulege.

Als der Tag kam, an dem es Schnattchen an die Federn gehen sollte, versteckten wir sie, um sie zu retten. Vergebens! Vater fand sie und – na ja, Sie wissen schon. Wir Kinder erklärten entschlossen, keinen Bissen davon zu essen. Ein Vorsatz, der so lange anhielt, bis sie knusprig und duftend mit Grünkohl und Klößen auf dem Tisch stand. Mutters Kochkünsten konnten wir dann doch nicht widerstehen.

Rund fünf Jahrzehnte später. Seit einer Weile schon war ich als ND-Reiseredakteurin unterwegs und verbrachte so manche Nacht schlaflos in Hotelbetten, weil ich mit den Kissen nicht zurechtkam – zu dick, zu hart, zu weich. Als ich das meiner Mutter erzählte, schenkte sie mir ein winziges Kuschelkissen. »Es ist mit den Daunen von Schnattchen gefüllt, ich konnte sie damals nicht wegwerfen«, erzählte sie ihrer erstaunten Tochter.

Seit diesem Tag begleitet mich Schnattchen um die Welt, mit ihr kuschelnd schlafe in jedem Hotelbett wie im siebten Himmel. Obwohl ich sie einst am weihnachtlichen Mittagstisch verraten habe.

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