Wir-Gefühl in der Kastanienallee

Jetzt wird auch in der Flaniermeile Prenzlauer Bergs geschlichtet / Anwohner sollen gehört werden

Der Protest gegen den Umbau der Kastanienallee ist deutlich.
Der Protest gegen den Umbau der Kastanienallee ist deutlich.

»Kastanienallee 21« heißt das Schlagwort der Protestierer. Wie in Stuttgart werde ihnen ein Bauprojekt vorgesetzt, mit dem sie sich abfinden sollen, klagen sie. Auch in Prenzlauer Berg mündet der Unmut in eine Vermittlungsrunde – die heißt neuerdings nicht mehr »Runder Tisch«, sondern »Schlichtung«.

Anwohner und Gewerbetreibende in der Kastanienallee fürchten, dass bei den bisherigen Umbauplänen das Flair der Ausgehmeile verloren geht. Knackpunkt ist die Verlegung der parkenden Autos auf das Trottoir zwischen den Bäumen – dorthin, wo sich bisher das Leben abspielt. Sebastian Mücke, dem drei Läden in der Straße gehören, meint polemisch, er wolle nicht, dass die Kastanienallee einmal aussehe wie eine x-beliebige Straße in Oldenburg oder Hildesheim.

Pankows Baustadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne), dem zuletzt Ignoranz gegenüber dem Bürgerwillen nachgesagt wurde, machte bei der Schlichtung ein großzügiges Angebot: Er schlägt vor, die Stellplätze für Autos zu reduzieren. »Derzeit sind Parkbuchten für rund 150 Autos geplant, die könnten auf 82 oder 83 verringert werden.« Ebenso zeigte er sich aufgeschlossen gegenüber dem Vorschlag des Vereins Carambolage. Der möchte eine niedrige Bordsteinkante haben; außerdem sollen die Autostellplätze von Bänken umsäumt werden.

Die Protestler bleiben jedoch reserviert. Sie halten die Umbaupläne über 1,5 Millionen Euro für überdimensioniert. Es würde ausreichen, wenn man die Gehsteige saniere, so eine weit verbreitete Meinung. Für Kirchner ist dies eine Ironie der Geschichte: »Genau das wollte der Bezirk vor zweieinhalb Jahren. Doch dann beklagte sich die Fahrradlobby, dass die Kastanienallee für Radfahrer eine der gefährlichsten Straßen Berlins sei.« Momentan fahren die Radler zwischen Schienen der Tram; eine landesweite Richtlinie fordert für sie einen Fahrstreifen am Straßenrand.

Doch eine solche Änderung hätte weitreichende Folgen: Die Straßenbahn könnte auf der Kastanienallee auf Tempo 50 beschleunigen, und der Autoverkehr hätte einen besseren Fluss. Auch dagegen richtet sich der Protest: »Keine freie Bahn, stoppt grüne Überholspur« steht auf einem Transparent über dem Lichtblick-Kino. Es gebe viele unterschiedliche Interessen, weiß André Nunes, Anwohnersprecher bei der Schlichtung. Er glaubt nicht, dass der bisherige Plan überhaupt jemanden zufriedenstellen wird.

Diese Gefahr sieht auch Volker Ratzmann. »Wenn man es versucht, allen recht zu machen, dann könnte das Ergebnis miserabel sein.« Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Abgeordnetenhaus, der hier seinen Wahlkreis hat, plädiert für eine Entschleunigung der Kastanienallee auf Tempo 30 oder sogar auf Tempo 20, was den Durchgangsverkehr in Grenzen halten würde. Das sei allerdings eine Entscheidung des Landes. Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) habe diesbezüglich Gesprächsbereitschaft signalisiert.

Die Vorschläge in der Schlichtungsrunde sind vielfältig. Ob eine Einigung erzielt wird, die für alle tragbar ist, bleibt abzuwarten. Immerhin macht der Vermittler, Heiner Funken vom Bürgerverein Gleimviertel, bei allen Beteiligten in der Runde den Willen aus, die bisherige Planung noch einmal zu verändern.

Dafür gibt es allerdings nur ein kleines Zeitfenster: Nach dem Winter werden die Bauarbeiten wieder aufgenommen. Bis März will die Schlichtungsrunde ein Paket schnüren und mit diesem bei einer Befragung auch die Anwohner überzeugen. Und schließlich auch die Pankower Bezirksverordneten, damit sie die Baupläne noch einmal nachbessern.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal