In der Favela werden Geschenke organisiert

Die Gemeinschaft versucht, Wünsche von Kindern armer Eltern zu erfüllen

  • Lutz Taufer, Rio de Janeiro
  • Lesedauer: 3 Min.
Auch wenn unter Präsident Lula die Rolle des Staates in Brasilien wieder gestärkt wurde, machen viele Brasilianer aus der Not fehlender öffentlicher Angebote die Tugend der Selbstorganisation.
Gemüseeintopf für alle vor der Bescherung für die Kinder in der Favela Ilha da Itaóca in Rio de Janeiro
Gemüseeintopf für alle vor der Bescherung für die Kinder in der Favela Ilha da Itaóca in Rio de Janeiro

Brasilien ist das Land der Vereine. Abertausende kommunitäre Gruppen kümmern sich um alles – vom Fußballverein über die Altengymnastik bis zur Kindererziehung; alles, was sonst niemand tun würde. Sogar um die Weihnachtsgeschenke bemühen sich selbst organisierte Gruppen. Weil es sonst niemand tun würde oder tun kann.

Ein Beispiel für gemeinsames solidarisches Bürgerhandeln ist die jährliche Weihnachtsbescherung für die armen Kinder der Gemeinde Ilha da Itaóca, eine der acht Favelas, die am Projekt Vida Activa teilnehmen, das der Weltfriedensdienst und CAMPO in der Region durchführen. Der Weg dorthin ist beschwerlich, die Fahrwege ohne Asphalt. Oft fahre ich durch Tümpel, bis zu den Radnaben im Wasser. Das Thermometer zeigt seit Tagen tropische Hitze an. An der Praia de Luz, am Strand des Lichtes, mit wunderbarem Blick auf die Guanabara-Bucht, hat eine Bürgerinitiative des Ortes in einem stillgelegten kleinen Hotel die Geschenke für die Kinder aufgebaut.

Lodival de Silva (38), Bewohner der Favela und rühriger Organisator, nimmt sich zwei Minuten Zeit für mich: »Wir machen das jedes Jahr. Anfang November schreiben die Kinder ihre Wunschzettel an den Weihnachtsmann, wir verteilen die Briefchen an Spender, kleine Geschäftsleute, Ladenbesitzer, Ärzte, Rechtsanwälte, die die Geschenke besorgen und liebevoll verpacken.« Auch mir hat man einen Wunschzettel gegeben. »Dieses Jahr beschenken wir 200 Kinder.« Die tummeln sich derweil noch im Wasser. Die Eltern sitzen vor einer Imbissbude bei einem Bierchen, Bewohner der Favela haben einen leckeren Gemüseeintopf gekocht, außerdem werden belegte Brote verteilt. Samba-Rhythmen, die Menschen genießen ein paar unbeschwerte Stunden, vergessen ihre Sorgen. Der Weihnachtsmann taucht auf, ein Schwarm von Kindern und Müttern heftet sich an seine Fersen.

In seiner kurzen Ansprache bedankt Lodival sich bei allen Spendern: »Aber im nächsten Jahr müssen wir was anders machen. Für teure Wünsche haben wir keine Spender gefunden. Fahrrad ja, Computer oder Handy nein. Außerdem müssen die Schulkinder eine Kopie ihres Zeugnisses mit dem Wunschzettel abgeben.« Ein Anreiz, sich in der Schule mehr anzustrengen. Die lokale Carlos-Marighela-Grundschule, genannt nach einem Guerilla-Kämpfer gegen die Militärdiktatur und geleitet von einer rührigen und engagierten Direktorin, lohnt den Einsatz. Die Kinder werden namentlich aufgerufen und holen sich mit tropfender Badehose beim Weihnachtsmann ihre Geschenke ab. Spielsachen, Puppen, Leckereien, einige Fahrräder. Meine Spende, ein Lebensmittelkorb, den sich der kleine Kauã für seine Familie gewünscht hat, ist zu schwer für den schmächtigen Kerl. Ich fahre mit der Mutter und zwei weiteren Kindern zu einer armseligen, halb verfallenen Behausung am Rand eines Schlammpfades. Auch nach jahrelanger Tätigkeit in der Region lerne ich immer wieder bis dahin nicht gekanntes Elend kennen, das mich erschüttert. Wir sind angekommen im Stall von Bethlehem. Feliz Natal, Frohe Weihnachten!

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