Liefert Frankreich seine Staatsbürgerin aus?

Batasuna-Aktivistin Aurore Martin, deren Partei in Frankreich legal ist, droht in Spanien Haft

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Die 31-jährige Aurore Martin aus dem südwestfranzösischen Bayonne hat dieser Tage in einem Brief an die Presse angekündigt, dass sie sich verstecken und damit der drohenden Auslieferung an die spanische Justiz entziehen wird.

»Ich sehe keinen anderen Ausweg«, schrieb die Aktivistin der baskischen Partei Batasuna, nachdem sie vergeblich alle Instanzen der französischen Justiz angerufen hatte, um den von Spanien erwirkten Europäischen Haftbefehl außer Kraft zu setzen. »Aurore muss jetzt jederzeit mit Verhaftung und Auslieferung rechnen«, bestätigte ihr Anwalt. Die spanische Justiz, die 2011 einen großen Prozess gegen die baskische Unabhängigkeitsbewegung plant, will Aurore Martin dafür vor Gericht stellen, dass sie auf Versammlungen und Pressekonferenzen von Batasuna in Spanien aufgetreten ist. Wie der Partei, die in Spanien seit 2003 verboten ist, wird auch ihr persönlich pauschal »Terrorismus« vorgeworfen, wofür bis zu zwölf Jahre Haft drohen.

Die französischen Gerichte hatten sich nicht inhaltlich mit den Vorwürfen zu befassen, sondern nur die Rechtmäßigkeit des Europäischen Haftbefehls zu prüfen. Dass die Richter auf Auslieferung entschieden, ist umso unverständlicher, als nach französischem Recht kein französischer Staatsbürger ausgeliefert werden darf, wenn er im Ausland aufgrund seiner politischen Überzeugungen verfolgt wird. In Frankreich aber ist Batasuna eine legale Partei mit eigenen Abgeordneten und einem Parteibüro in Bayonne. Dort gab es im November und Dezember mehrfach Protestdemonstrationen gegen die drohende Abschiebung Aurore Martins. »Sie hat nur von ihrem Verfassungsrecht auf Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht«, erklärt Jean-Pierre Dubois, Präsident der französischen Liga für Menschenrechte.

Die Ratsversammlung der Region Aquitaine hat in einer Resolution, die fast einstimmig von den Vertretern linker wie rechter Parteien verabschiedet wurde, an die Behörden appelliert, von einer Auslieferung der Batasuna-Aktvistin an Spanien abzusehen. Ähnlich hat sich auch der Generalrat des Departements Pyrénées-Atlantique quer durch alle politischen Parteien geäußert. Max Brission, Vizepräsident des Generalrats für die rechte Regierungspartei UMP, erklärte: »Ich bekämpfe politisch die Positionen von Batasuna und vor allem ihren mangelnden Willen, den Terrorismus der ETA klar zu verurteilen, aber ich kann nicht akzeptieren, dass eine junge Frau aufgrund ihrer politischen Überzeugungen und der Mitgliedschaft in einer Partei, die in Frankreich nicht verboten ist, ausgeliefert wird.«

Für die Juristin Anne-Marie Mendiboure, Vorsitzende der Anwaltskammer von Bayonne, ist die Gefahr gegeben, dass der Fall Aurore Martin zu einem Präzedenzfall wird. Sie verweist darauf, dass der 2005 auf EU-Ebene eingeführte Europäische Haftbefehl die traditionelle Praxis beendet, wonach prinzipiell eigene Staatsbürger nicht an die Justiz anderer Staaten ausgeliefert, sondern die im Ausland gegen sie erhobenen Vorwürfe auf der Grundlage von Beweisen durch französische Gerichte geprüft und gegebenenfalls verfolgt werden. »Es wäre das erste Mal, dass ein französischer Staatsbürger dieser Prozedur unterworfen wird«, stellt die Anwältin fest. »Bisher wurden Europäische Haftbefehle in Frankreich nur vollstreckt, wenn es sich um hier befindliche Spanier und Taten in ihrer Heimat handelte.«

Die Auslieferung Aurore Martins würde »Tür und Tor öffnen für ähnliche Verfahren gegen andere Franzosen«, erklärt Batasuna-Sprecher Xabi Larralde, der Hinweise darauf hat, dass er als einer der nächsten auf der Liste der spanischen Richter steht. »Das würde dazu führen, dass die spanische Justiz über die Grenze hinweg eine in Frankreich legale Partei de facto verbieten kann.«

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