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Teiresias, Taschen und eine tolle Renaissance

ER ist wieder da und trägt nicht nur Latzhosen!

  • Lesedauer: 2 Min.
Der moderne Tierschutz ist eine humane, zurückhaltende, ja geradezu fürsorgliche Angelegenheit. Denn: Sogenannte Damen, die in der Öffentlichkeit ihre Robbenfelle spazierenführen, werden nicht automatisch mit dem Spaten erschlagen. Sehet also: Die Welt ist ein gar mildtätiges Unternehmen.

Der Maulwurf hat es da weit schwerer. Er ist quasi blind, und kommt er denn mal getrieben, gehetzt, verwirrt ans Tageslicht, so saust auch schon die Schaufel, und er sieht gar nichts mehr. Eine Entschädigung durch Literatur, die solches Schicksal in den Adel der Märtyrerschaft überführt, fand nie wirklich statt. Andere niedere oder hohe Tiere – Reineke Fuchs, der gestiefelte Kater, Hase und Igel, ein gewisser Hundt oder ein Käfer aus Wolfsburg – sind dagegen zweifelsfrei Begünstigte; und keiner weiß so recht, warum.

Aber es geschieht Aufhilfe! Denn: Die »New York Times« teilt mit, wir seien in einer »neuen Ära der Maulwürfe«. Die eruptiv wirkenden Ereignisse der letzten Monate im Zusammenhang mit WikiLeaks verlängern den antikischen Nachrichtenstrom in die moderne Büroschnüffelei: Teiresias, der blinde Seher, erhielt im Maulwurf einen Nachfolger. den es immer schon gab, der aber überraschend wieder in aller Munde ist.

Freilich sieht jener Maulwurf, der auf brisante Weise Karriere macht, selten so aus, wie ihn Zdenek Miler für so viele Kinderbücher malte (Abb.: laiv-Verlag Leipzig). Auch trägt er keine Spiellatzhosen mit großen Taschen. Dafür aber große Ohren. Und da kommt plötzlich auch ins Bewusstsein, dass er doch eine litererische Laufbahn hinter sich hat – die nun ihre Renaissance in der Realität totaler Transparenz erfährt. »Den Tunnel grab du zu dem Ort,/ an dem die Wahrheit ihrer Künder harrt.« Auftraggeber: nicht WikiLeaks, sondern Sophokles. »Wo sich dein Schritt auf festem Boden wähnt,/ wächst unterm Grund schon jener Schacht,/ der dich in Tiefen zieht.« Klar! Dieser Mann durfte noch nie fehlen, wo es um Geheimnis und Verrat, Maskenspiel und raffinierte List ging: Shakespeare.

Das Untergraben der Dinge ist auf neue Weise in den höheren Stand gesetzt worden. Das Unterwühlen ist der Aufsteiger des Jahres. Für die Praxis der Vertuschung darf fortan, so heißt es allenthalben, in weit größerem Maße als früher schwarz gesehen werden. Was einmal mehr auf die Naturfarbe jenes Wesens schließen lässt, das fleißig an den Wurzeln einer zwielichtigen Diplomatie und des Demokratiebetrugs nagt.

Hans-Dieter Schütt

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