nd-aktuell.de / 30.12.2010 / Brandenburg / Seite 10

Jäger und Sammler

Fil mit seinem Programm »Tauben, Delfine der Lüfte« im Babylon

Anouk Meyer
Meisterhafter Alleinunterhalter im Zwiegespräch: Fil
Meisterhafter Alleinunterhalter im Zwiegespräch: Fil

Es sind eher Alltagsfragen, mit denen sich Fil bei seinen Bühnenshows befasst: Punks, die vor dem Supermarkt Fahrkarten verkaufen, Mobiltelefonierer in der S-Bahn, die Eltern in Prenzlauer Berg. Mit seinen locker-ironischen Live-Auftritten hat sich der als Comiczeichner (»Didi und Stulle«) bekannt gewordene Philip Tägert einen regelrechten Kultstatus erarbeitet, wie seine neue Show »Tauben, Delfine der Lüfte« beweist: Der große Saal des Babylon Mitte ist am Dienstag bis auf den letzten Platz besetzt.

Für viele gehört der jährliche Fil-Auftritt nach den Festtagen zu einem gelungenen Weihnachtsabschluss wie der Gänsebraten am ersten Feiertag. Diesmal jedoch versetzt der selbst ernannte Singer/Songwriter das coole Mitte-Publikum gleich zu Anfang in ungläubiges, amüsiertes Staunen. »Oh nein!«-Ausrufe und unterdrücktes Kichern ertönen, als der Mittvierziger durch eine Luke auf die Bühne klettert: Seine obligatorische Kluft aus Jeans, weißem T-Shirt und Basecap hat er vertauscht mit einer Art Porno-Dienstmädchen-Outfit – Strapse und Strümpfe, Korsage, Schürzchen, schwarze Langhaarperücke, dazu Cowboystiefel.

Er spüre, sagt der Pantomimenparodist ernsthaft, Irritationen wegen seines Kostüms. Er würde das gern später »so im Vorbeigehen« erklären, setzt aber gleich darauf zu einer langatmigen Erläuterung an. »Wer mich kennt, weiß, Fil steht für Fairness.« Da es unfair sei, dass die Zuschauer hinten das gleiche bezahlt hätten wie die Leute vorne, den Abend aber nur als eine Art Hörspiel erleben würden, habe er »ein Kostüm ausgewählt, bei dem man froh ist, wenn man nicht so viel sieht«. Spricht’s, wackelt mit dem Schürzchen und streicht sich durch die langen Haare.

Außerdem korrespondiere das Kostüm mit dem ersten Song der Show, der gleichzeitig der schwächste, dafür auch der längste sei...usw. usw. Zehn Minuten faselt er so langatmig wie urkomisch, bis endlich das »sehr schwache, sehr zähe« Auftaktlied erklingt, ein Western-Song über die Schwierigkeit eines Farmerjungen, der gerne Porno-Dienstmädchen werden möchte. Gefolgt von einer herrlich absurden Szene, in der der Erzähler mit einem gewissen Joe der Postkutsche zwecks Überfall auflauert, wozu man sich hinter großen Fässern verbirgt.

So schräg wie die »Ich kann überhaupt nichts sehen hinter diesen riesigen Fässern«-Diskussion, die mit Joes Tod endet, ist im Prinzip die ganze Show von Fil, diesem meisterhaften Alleinunterhalter, der ohne Skript locker vor sich hin plaudert, alles andere als technisch perfekt an seiner Gitarre herumzupft, seine Anekdoten mit umständlichen Erklärungen kaputt interpretiert – und gerade daraus seine Komik bezieht.

Es ist schwer, ein Etikett für ihn zu finden. Die Schublade »politischer Liedermacher« wird ihm ebenso wenig gerecht, wie »Comedian« oder »Kabarettist«. Fil scheint so zu sprechen, wie ihm der Berliner Schnabel gewachsen ist: sprunghaft, von einem Thema zum anderen schweifend, dabei die Haltung vieler Menschen zwischen 30 und 45 naiv-böse karikierend.

»Jäger und Sammler absurder Alltagsbeobachtungen« hat ein Kritiker den Jungen aus dem Märkischen Viertel einmal genannt. In seinen Geschichten und Songs geht es um Latte Macchiato-Getue ebenso wie um die »neuen« Eltern – coole Rock’n’Roll-Parents statt spießiger Schlipsträger-Papis. Es geht um Zen-Buddhismus und »Die Geschichte von Wiki Westend« sowie um das Trauma, das Eis-Namen wie »Ed von Schleck« in den 80ern bei Nachwuchspunks auslösen konnten.

Nur um eines geht es nicht eine Minute: um die Titel gebenden »Tauben, Delfine der Lüfte«. Doch das merkt man, wenn überhaupt, erst hinterher.

30.12., 20 Uhr, Babylon Mitte, 11.-22.1. im Mehringhof-Theater