Schock mit »Pulverfass«

Theaterfestival KONTAKT im polnischen Torun

  • Elke Wiegand
  • Lesedauer: 3 Min.
Torun an der Weichsel - die Geburtsstadt des Nikolaus Kopernikus. Im Zweiten Weltkrieg unversehrt geblieben, präsentiert sich die einstige Hansestadt Thorn als weitgehend mittelalterliches Architekturensemble mit riesigen Kathedralen und so manchem Kuriosum wie dem Schiefen Turm oder der Straßenkreuzung, an der Planetarium, Gefängnis, Kirche und Universität in trauter Nachbarschaft beieinander stehen. Unweit davon der Jugendstilbau des Theaters, dessen Intendanten sich seit Jahrzehnten dafür engagiert haben, dass Torun heute über Polens Grenzen hinaus auch als Theaterstadt bekannt ist. Seit 1991 findet hier jährlich im Frühsommer das Internationale Theaterfestival KONTAKT statt. Sein Name ist Programm. Ursprünglich konzipiert als kultureller Beitrag zum Zusammenwachsen von Ost- und Westeuropa, drohte die Unternehmung bald auch mit Aufführungen aus den USA und Usbekistan in die Beliebigkeit zu expandieren. Jetzt hat sie sich wieder profiliert und ist eine der wichtigsten Transferstationen ost- und mittelosteuropäischer Theaterkunst für das Europa westlich der Oder-Neiße-Grenze. Aber auch Vergleichsmöglichkeit und künstlerische Impulsgebung für die eigene nationale Theaterkunst sind beabsichtigt. Diese hat es nötig. Nicht vergessen, aber Vergangenheit ist Polens Spitzenposition als Innovator im Theater Osteuropas. Die junge Regiegeneration lässt sich Zeit mit internationalen Auftritten. Auch um die neue Dramatik ist es nicht rosig bestellt. Globale wie existenzielle Probleme im nun marktwirtschaftlich organisierten Polen werden kaum reflektiert, noch seltener mit aller Schärfe und schonungslos. Ausnahmen bestätigen die Regel. Vor diesem Hintergrund initiierte Festivaldirektorin Jadwiga Oleradzka mit ihrer Auswahl von 14 Inszenierungen aus Bratislava, Budapest, Moskau, St. Petersburg, Riga, Tallinn, Novi Sad, Südkorea, Dänemark, der Schweiz sowie Gdansk und Wroclaw für den diesjährigen 12. KONTAKT nicht nur massiv Kontakte und Konfrontationen mit überwiegend zeitgenössischer Dramatik junger Autoren, sondern auch einen Schock. Ivan M. Lalics »Cuba libre« ist eine bitterböse Abrechnung mit Geschichte und Politik der letzten zehn Jahre im ehemaligen Jugoslawien, und Dejan Dukovski erzählt als Reaktion auf ethnischen Krieg und Zerstörung auf dem Balkan in »Pulverfass« eine Geschichte, in der das Opfer zum Henker und brutale Gewalt zum einzigen Argument wird. Grazyna Kania, Regieabsolventin der Berliner Hochschule »Ernst Busch«, inszenierte diese Geschichte als ihr polnisches Debüt in Gdansk. Sie wurde dafür mit dem 3. Hauptpreis der international besetzten Jury bedacht. Dea Lohers Protagonistin Klara wird durch die Kollision ihres Lebensanspruchs mit einer desolaten Welt in Sinnkrise und Verzweiflung getrieben. Ihr Selbstmord am Ende misslingt, womit ihre Tragödie erst richtig beginnt. In der Aufführung des Teatr Polski aus Wroclaw , mit Videoeinblendungen und Live-Band aufgebläht, verloren »Klaras Verhältnisse« sichtlich an Schärfe. Für die brillante Interpretation (Regie: Peter Gothar) von D. Harrowers bekanntem Stück »Messer in Hennen« erhielt das kleine Ensemble vom Katona-Theater Budapest verdientermaßen den Grand Prix 2002 und Ferenc Lengyel den Schauspielerpreis.
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