Sie wissen nicht, was sie tun

Bilder, Bilderkriege und die Documenta - Gespräch mit Peter Weibel

Während die Kunstwelt zur Bilderschau der Documenta11 pilgert, unternimmt der Medienkünstler und Museumsdirektor Peter Weibel im Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM) den Versuch, zu erklären, wozu Bilder benötigt, wie sie erzeugt und interpretiert werden. Anders als der Titel »Iconoclash« nahe legt, stellt die Ausstellung gleichberechtigt künstlerische und wissenschaftliche Formen der Bilderzeugung vor; sie diskutiert auch, warum manche Arten von Bildern akzeptiert, andere attackiert, vernichtet oder übermalt werden und legt damit eine Untersuchung über den Status des Bildwerks als Medium vor, die man eigentlich von der Documenta hätte erwarten können.

ND: Warum heißt Ihre Ausstellung so martialisch »Bilderkrieg«, wenn sie zu großen Teilen doch nur verschiedene Methoden von Bilderzeugung und die Ablösung alter durch neue Bilder vorstellt?
»Imagemaking - Imagebreaking« wäre sicherlich adäquater. »Bildersturm« war unsere erste Metapher. Nachdem aber einige Ausstellungen zum Mittelalter diesen Begriff benutzten und auch der »Sturm«, ich erinnere an »Wüstensturm«, stark in Gebrauch war, tendierten wir zum Bilderkrieg. Wobei anzumerken ist, dass wir uns schon jenseits des Bilderkriegs befinden.

ND: Das ZKM ist ein Medienkunstmuseum. In der Schau überwiegen wissenschaftliche Apparaturen. Genuine Medienkunst ist kaum zu finden. Woran liegt das?
Zunächst wollen wir verhindern, dass man uns aus ideologischer Blindheit in die Nische Medienkunst abschiebt. Medienkunst spielt als Begriff in der Gegenwart keine Rolle mehr, weil die Kunst, die mit Medien operiert, sich inzwischen soweit etabliert hat, dass jede Großausstellung, von Venedig bis Kassel, ohnehin zu 80 Prozent aus flimmernden Schirmen besteht. Unser Anliegen ist es, zum einen die historischen Prozesse zu erforschen, die Ausschlag gebend für die Entwicklung von Medien waren und andererseits die Probleme untersuchen, die die Medien ihrerseits erzeugen. Wir greifen auf die Malerei als mediale Praxis zurück, um die Mediendebatte historisch zu vertiefen, mehr Verständnis für die Gegenwart zu gewinnen und dann auch in die Zukunft genau schauen zu können.

ND: Medien sind also weiter gefasst als nur die neuen Medien?
Es geht um das Trägermedium des Bildes. Ich beanspruche, dass wir mit dieser Ausstellung eine Wende eingeleitet haben. Zum ersten Mal wird der Versuch unternommen, den Bildbegriff viel weiter zu sehen und verschiedene Arten der Bildherstellung (Malerei, Foto, Film, Video sowie die maschinelle Bildproduktion in Astromomie, Physik, Medizin) gleichberechtigt zu betrachten. Jeden Tag werden heutzutage mittlerweile mehr wissenschaftliche Bilder produziert als künstlerische. Das kann man nicht weiter ignorieren.

ND: Sie gehen aber nicht so weit, zu wissenschaftlichen Zwecken erzeugte Bilder in den Kunstkontext zu überführen?
Absolut nicht. Uns interessiert der ästhetische Aspekt gar nicht. Ich bezweifle, dass diese Kategorie noch relevant ist. Heute entstehen vielmehr Bilder in der Wissenschaft, die das leisten, was die Kunst schon lange nicht mehr will, nämlich ein Medium der Erkenntnis und der genauen Repräsentation zu sein. Die Kunst hat sich aus der Darstellung zurückgezogen, durch abstrakte Kunst etwa oder durch soziale Praktiken, die anstelle des Bildes getreten sind. Das Bild als ein Medium der Repräsentation ist von der Kunst in die Wissenschaft gewandert.

ND: Sie haben die Documenta kritisiert, es seien zu viel bekannte Positionen dabei?
Die Documenta stellt sich nicht dem aktuellen Problem der Bedeutung des Visuellen. Sie hat auch ihre kanonische Position verloren. Sie führt keine Künstler mehr ein, sondern zeigt genau die, die schon durchgesetzt sind. Früher hat man sich der Fragestellung geöffnet, was ist das Filmbild? Das wäre heute: Was ist das Bild der Wissenschaft? Das wird aber nicht gemacht. Viel mehr imitiert die Documenta die Rhetorik der Politik. Das hat auf den Plattformen stattgefunden. Die Kunst stellte die Fragen der Politik und verlor ihre Eigenständigkeit. Das westliche Kunstsystem wird von zwei Seiten attackiert, von der Wissenschaft her und von der Dritten Welt...

ND: Diesen Angriff aus der Dritten Welt hatte man ja dem aus Nigeria stammenden, in New York lebenden Okuwi Enwezor zugetraut; gerade dieser Aspekt prädestinierte ihn als Leiter der Documenta11.
Ja, aber die Documenta stellt sich dieser Problematik nicht. Das ist mein größter Vorwurf. Man müsste Künstler zeigen, die, sagen wir, bei der osmanischen Tradition bleiben, sie weiterentwickeln. Dann könnten wir lernen, den anderen wirklich als anderen zu sehen.

ND: An der Künstlerliste fällt auf, dass viele asiatische Künstler Medienkünstler sind. Ist dort ein besonderer technischer Sprung vonstatten gegangen?
Auch hier äußert sich die Verdopplung der Rhetorik der Politik. Die USA haben lange schon einen Blick auf den pazifischen Raum geworfen, haben die »Tigerstaaten« damals als Block gegen die kommunistische Welt in Stellung gebracht. Mein Vorwurf ist, dass die Documenta diesen politischen Überlegungen nachtrabt. Und das auch noch unbewusst. Sie wissen nicht, was sie tun. Sie folgen dem politischen Diskurs und erkennen nicht, dass sie einer Ideologie hinterherlaufen. Dabei gab es die Chance, zu artikulieren, dass die Kunst einem anderen Diskurs folgt. So aber schreitet man fort in der Hegemonisierung durch Amerika. Besonders Deutschland übernimmt willfährig amerikanische Denkmodelle.

ND: Die uneinschränkte Solidarität findet sich also auch in der Documenta wieder?
Ja. Aber bei über 100 Künstlern wird es auch spannende Arbeiten geben. Trotzdem: Sie folgen den Vektoren der Politik. Ich vermute, das wird sogar ein Auslöser für den Erfolg der Documenta sein. Das Publikum ist die Rhetorik der Politik gewohnt. Es ist froh, dass sie nicht durch die Künstler gestört wird, sondern Letztere sich diesem Paradigma der Politik unterwerfen. Das Publikum kennt die sozialkritischen Bilder aus dem »Stern« und freut sich, sie auf der Documenta wiederzufinden.

Fragen: Tom MustrophND: Warum heißt Ihre Ausstellung so martialisch »Bilderkrieg«, wenn sie zu großen Teilen doch nur verschiedene Methoden von Bilderzeugung und die Ablösung alter durch neue Bilder vorstellt?
»Imagemaking - Imagebreaking« wäre sicherlich adäquater. »Bildersturm« war unsere erste Metapher. Nachdem aber einige Ausstellungen zum Mittelalter diesen Begriff benutzten und auch der »Sturm«, ich erinnere an »Wüstensturm«, stark in Gebrauch war, tendierten wir zum Bilderkrieg. Wobei anzumerken ist, dass wir uns schon jenseits des Bilderkriegs befinden.

ND: Das ZKM ist ein Medienkunstmuseum. In der Schau überwiegen wissenschaftliche Apparaturen. Genuine Medienkunst ist kaum zu finden. Woran liegt das?
Zunächst wollen wir verhindern, dass man uns aus ideologischer Blindheit in die Nische Medienkunst abschiebt. Medienkunst spielt als Begriff in der Gegenwart keine Rolle mehr, weil die Kunst, die mit Medien operiert, sich inzwischen soweit etabliert hat, dass jede Großausstellung, von Venedig bis Kassel, ohnehin zu 80 Prozent aus flimmernden Schirmen besteht. Unser Anliegen ist es, zum einen die historischen Prozesse zu erforschen, die Ausschlag gebend für die Entwicklung von Medien waren und andererseits die Probleme untersuchen, die die Medien ihrerseits erzeugen. Wir greifen auf die Malerei als mediale Praxis zurück, um die Mediendebatte historisch zu vertiefen, mehr Verständnis für die Gegenwart zu gewinnen und dann auch in die Zukunft genau schauen zu können.

ND: Medien sind also weiter gefasst als nur die neuen Medien?
Es geht um das Trägermedium des Bildes. Ich beanspruche, dass wir mit dieser Ausstellung eine Wende eingeleitet haben. Zum ersten Mal wird der Versuch unternommen, den Bildbegriff viel weiter zu sehen und verschiedene Arten der Bildherstellung (Malerei, Foto, Film, Video sowie die maschinelle Bildproduktion in Astromomie, Physik, Medizin) gleichberechtigt zu betrachten. Jeden Tag werden heutzutage mittlerweile mehr wissenschaftliche Bilder produziert als künstlerische. Das kann man nicht weiter ignorieren.

ND: Sie gehen aber nicht so weit, zu wissenschaftlichen Zwecken erzeugte Bilder in den Kunstkontext zu überführen?
Absolut nicht. Uns interessiert der ästhetische Aspekt gar nicht. Ich bezweifle, dass diese Kategorie noch relevant ist. Heute entstehen vielmehr Bilder in der Wissenschaft, die das leisten, was die Kunst schon lange nicht mehr will, nämlich ein Medium der Erkenntnis und der genauen Repräsentation zu sein. Die Kunst hat sich aus der Darstellung zurückgezogen, durch abstrakte Kunst etwa oder durch soziale Praktiken, die anstelle des Bildes getreten sind. Das Bild als ein Medium der Repräsentation ist von der Kunst in die Wissenschaft gewandert.

ND: Sie haben die Documenta kritisiert, es seien zu viel bekannte Positionen dabei?
Die Documenta stellt sich nicht dem aktuellen Problem der Bedeutung des Visuellen. Sie hat auch ihre kanonische Position verloren. Sie führt keine Künstler mehr ein, sondern zeigt genau die, die schon durchgesetzt sind. Früher hat man sich der Fragestellung geöffnet, was ist das Filmbild? Das wäre heute: Was ist das Bild der Wissenschaft? Das wird aber nicht gemacht. Viel mehr imitiert die Documenta die Rhetorik der Politik. Das hat auf den Plattformen stattgefunden. Die Kunst stellte die Fragen der Politik und verlor ihre Eigenständigkeit. Das westliche Kunstsystem wird von zwei Seiten attackiert, von der Wissenschaft her und von der Dritten Welt...

ND: Diesen Angriff aus der Dritten Welt hatte man ja dem aus Nigeria stammenden, in New York lebenden Okuwi Enwezor zugetraut; gerade dieser Aspekt prädestinierte ihn als Leiter der Documenta11.
Ja, aber die Documenta stellt sich dieser Problematik nicht. Das ist mein größter Vorwurf. Man müsste Künstler zeigen, die, sagen wir, bei der osmanischen Tradition bleiben, sie weiterentwickeln. Dann könnten wir lernen, den anderen wirklich als anderen zu sehen.

ND: An der Künstlerliste fällt auf, dass viele asiatische Künstler Medienkünstler sind. Ist dort ein besonderer technischer Sprung vonstatten gegangen?
Auch hier äußert sich die Verdopplung der Rhetorik der Politik. Die USA haben lange schon einen Blick auf den pazifischen Raum geworfen, haben die »Tigerstaaten« damals als Block gegen die kommunistische Welt in Stellung gebracht. Mein Vorwurf ist, dass die Documenta diesen politischen Überlegungen nachtrabt. Und das auch noch unbewusst. Sie wissen nicht, was sie tun. Sie folgen dem politischen Diskurs und erkennen nicht, dass sie einer Ideologie hinterherlaufen. Dabei gab es die Chance, zu artikulieren, dass die Kunst einem anderen Diskurs folgt. So aber schreitet man fort in der Hegemonisierung durch Amerika. Besonders Deutschland übernimmt willfährig amerikanische Denkmodelle.

ND: Die uneinschränkte Solidarität findet sich also auch in der Documenta wieder?
Ja. Aber bei über 100 Künstlern wird es auch spannende Arbeiten geben. Trotzdem: Sie folgen den Vektoren der Politik. Ich vermute, das wird sogar ein Auslöser für den Erfolg der Documenta sein. Das Publikum ist die Rhetorik der Politik gewohnt. Es ist froh, dass sie nicht durch die Künstler gestört wird, sondern Letztere sich diesem Paradigma der Politik unterwerfen. Das Publikum kennt die sozialkritischen Bilder aus dem »Stern« und freut sich, sie auf der Documenta wiederzufinden.

Fragen: Tom Mustroph

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.