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Im Rausch der Macht

Moses Isegawa: »Die Schlangengrube«

  • Manfred Loimeier
  • Lesedauer: 4 Min.
Als der ugandische Schriftsteller Moses Isegawa vor vier Jahren mit seinem Debütroman »Abessinische Chronik«, einer Familiensage aus dem Uganda der siebziger Jahre, kometenhaft auf dem Sternenhimmel der Weltliteratur erschien - immerhin stand das Buch monatelang auf zahlreichen Bestsellerlisten und wurde in neun Sprachen übersetzt -, da begeisterte dieser Roman auch hier zu Lande wegen seines süffisanten Humors und seiner spitzzüngigen Ironie, die es erlaubte, den Lesern die Schilderung sogar schlimmster Massaker des ugandischen Bürgerkriegs zuzumuten. Von diesem berauschenden Witz, dieser lebensfrohen Zuversicht ist Isegawas zweiter Roman weit entfernt. Gleichwohl ist »Die Schlangengrube« ein gutes Buch, beinahe ein sehr gutes. Hier wird das lebendige Panorama einer Gesellschaft entworfen, die hin und her gerissen, zutiefst erschüttert wird und doch die Tragödie einer Schreckensherrschaft überdauert. Lediglich zum Ende des Romans hin wiederholen sich einige Formulierungen, findet sich ein dramaturgischer Hakentrick wieder, der bereits in »Abessinische Chronik« nicht ganz funktionierte, nämlich der Schauplatzwechsel ins Ausland. Aber von vorne und der Reihe nach: Der Ugander Bat Katanga kehrt nach seinen Studienjahren in Cambridge nach Hause zurück und erhält im Energie- und Verkehrsministerium des Militärdiktators Idi Amin eine verantwortungsvolle Stellung. Von seinem Vorgesetzten, dem General Bazooka, wird sogleich die attraktive Geheimagentin Victoria auf Bat angesetzt, die sich jedoch in den Heimkehrer verliebt und mit einem Kind statt mit diskreten Informationen aus dessen Bett wiederkehrt. Bats Herz hingegen schlägt bei der jungen Babit höher, was ihr die wütende Eifersucht Victorias einbringen und später das Leben kosten wird. Bis dahin rollt Isegawa - fesselnd wie in einem Politthriller - die Intrigen und Machenschaften aus, mit denen sich die Generäle und Marschälle gegenseitig bekriegen, mit denen sie um die Gunst des Generalmajors Amin feilschen und dabei die Bevölkerung Ugandas achtlos dahinmetzeln. Mord und Überfälle, Entführung und Erpressung, Korruption und Raffgier, Folter und Willkür, Terror und Gegenterror - das ganze Repertoire eines diktatorischen Regimes findet im Roman seinen Niederschlag. Isegawa zeigt aber auch, wie die zahlreichen Palastrevolten zur Irritation und Handlungsunfähigkeit im politischen Zentrum führen und dadurch den Apparat der Macht lähmen. Zum Schluss stürzt erst General Bazooka, dann die komplette Junta Amins. Zuletzt zählt mit einem Mal Bat Katanga zu den wenigen Siegern - einfach, weil er überlebte. Wie aus der Vogelflugperspektive blickt der Leser auf das Tollhaus Uganda, auf eine Schlachtfabrik, die Isegawa in seinem ersten Roman »Abessinische Chronik« als Abgrund bezeichnete und die er nun als Schlangengrube sieht. Man riecht das reichlich fließende Blut und das verfaulende Menschenfleisch, man hört die Schreie vor Schmerzen und vor Angst, man imaginiert die entsetzten Gesichter, den rüden Tonfall harscher Befehle, vernimmt das Knacken der Knochen in den Kerkern ebenso wie das Klirren der Sektgläser auf den hohen Empfängen und das Lachen und Tuscheln in den Separees der Hotels. Wie in Isegawas »Abessinische Chronik« besticht auch »Die Schlangengrube« durch die betörende Üppigkeit, die entfesselte Sinnlichkeit und die verlockende Visualität einer überbordenden Sprache. Ihr Bilderreichtum zaubert eine traumhafte Landschaftskulisse vor die Augen, malt anschaulich die Insellandschaft im Victoriasee aus und lässt die Hochgebirgsketten des afrikanischen Grabens bis in die Wolken ragen. Diese Sprache entschädigt zudem für den gelegentlichen Wildwuchs der Handlung - ein Ausflug von Bat und Babit nach London ist völlig verzichtbar, und der Abgang der Geheimagentin Victoria wird im furiosen Finale ein bisschen hastig betrieben - und für eine gewisse Einfallslosigkeit bei der Einführung neuer Figuren, die immer wieder mit einer sofortigen Rückblende Gestalt erhalten. Der ehemalige Geschichtslehrer Isegawa, der seit 1990 in den Niederlanden lebt, ist also mit seinem zweiten Roman bei seinem Thema, dem Uganda der siebziger Jahre, geblieben. Die Innensicht, die Isegawa einnimmt, um aus dem Mittelpunkt der Macht selbst heraus zu schreiben, ist dabei nicht neu. »Die Schlangengrube« reiht sich in eine illustre Kette von Romanen, die den modernen Diktaturen Afrikas gewidmet sind. Im Gegensatz zu den Werken des Somaliers Nuruddin Farah schreibt Isegawa weniger programmatisch, im Vergleich zur Senegalesin Aminata Sow Fall verzichtet er auf eine psychologische Analyse. »Die Schlangengrube« ist nicht vom Bemühen um Aufklärung, um Verständnis oder um Betroffenheit geprägt. Isegawa steht Ahmadou Kourouma aus der Elfenbeinküste am nächsten, aber nicht, weil Isegawa dessen Frage nach der Bedeutung der Magie im Entscheidungsfindungsprozess afrikanischer Politiker aufgreift, sondern weil beider Prosa leichten Schrittes, gleichsam en passant, sowohl Information und Aufklärung als auch Abschreckung und Abscheu mit sich führt, und Literatur nicht als Mittel zum politischen Kampf begreift, sondern als Kunst des Erzählens, des Schaffens von Spannung, als Konzentration weniger von Gedanken als von Energie.
Moses Isegawa: Die Schlangengrube. Aus dem Niederländischen von Barbara Heller. Karl Blessing Verlag. 328 Seiten, gebunden, 22,90 EUR.
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