Mehrheit für bessere Schulen

GEW: Früher und gezielter fördern / Kritik an Sparplänen der Länder

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.

Eine Mehrheit der Bevölkerung will bessere Schulen, aber nur eine Minderheit ist für Strukturreformen im Bildungssystem. Auf diesen Nenner lässt sich das Ergebnis der repräsentativen Umfrage des Dortmunder Institutes für Schulentwicklungsforschung (IFS) bringen, das gestern auf einer Pressekonferenz in Berlin vorgestellt wurde. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kritisierte auf der gleichen Veranstaltung, dass trotz des schlechten Abschneidens deutscher Schüler bei der PISA-Studie in Deutschland weiter im Bildungsbereich gespart werde.

Ganztagsschulen erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Dass mehr Ganztagsschulen eingerichtet werden sollten, befürworten nach Aussage von Prof. Dr. Hans-Günter Rolff, dem Leiter des IFS, erstmals mehr als die Hälfte der Befragten. Nur 20 Prozent sind grundsätzlich gegen Ganztagsschulen eingestellt. Das IFS erhebt seit 1979 regelmäßig alle zwei Jahre Daten im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung und der Max-Traeger-Stiftung der GEW. Für die aktuelle Studie wurden zu Beginn dieses Jahres rund 3000 Bürger befragt. Die Zufriedenheit der Deutschen mit dem Schulsystem hat in den letzten Jahren kontinuierlich abgenommen. Nur noch zirka 20 Prozent geben den Schulen gute Noten. Vor einigen Jahren waren es noch rund 60 Prozent. Immer mehr sind zudem der Ansicht, dass die Leistungsansprüche, die in den Schulen an die Kinder und Jugendlichen gestellt werden, zu niedrig sind. Rund zwei Fünftel der Interviewten halten die Leistungsansprüche für etwas oder viel zu niedrig, lediglich 15 Prozent sind der Meinung, die Anforderungen in den Schulen seien zu hoch. 1979 gab es noch das umgekehrte Ergebnis und 1991 bei der ersten gesamtdeutschen Untersuchung war noch knapp die Hälfte der Meinung, die Schulen würden zu hohe Leistungsanforderungen stellen. Leistungsorientierung und erzieherische Aspekte stehen laut Hans-Günter Rolff für die Mehrheit der Eltern auf der Prioritätenliste ganz oben. Über 70 Prozent fordern mehr Vermittlung von Allgemeinbildung und eine deutlich bessere Vorbereitung auf das Berufsleben. Aber auch mehr Problemlösungskompetenz, Selbstdisziplin und Durchhaltevermögen werden gewünscht. Auf wenig Gegenliebe stoßen laut IFS-Studie dagegen Strukturreformen im Schulsystem. Längeres gemeinsames Lernen, weniger Selektion und die Abschaffung des Sitzenbleibens sind in der Bevölkerung nicht besonders populär. Für einen gemeinsamen Unterricht nach der vierten Klasse sprechen sich nur 40 Prozent der Befragten aus, 34 Prozent sind dagegen. Die Verlängerung der Grundschulzeit von vier auf sechs Jahre - wie dies in Berlin und Brandenburg üblich ist - wird von knapp der Hälfte abgelehnt. Hohe Zustimmung erhalten Forderungen nach bundesweiten Vergleichstests sowie landesweiten Abschlussprüfungen an Gymnasium und Realschule (71 bzw. 90 Prozent). Nur 31 Prozent sind dafür, in den ersten Klassen keine Noten ins Zeugnis einzutragen, 1991 plädierten noch 51 Prozent für eine Abschaffung der Noten in den unteren Klassen. Zum Teil erhebliche Unterschiede gab es zwischen Ost- und Westdeutschland. Während beispielsweise in den alten Ländern 30 Prozent ein Studium ihrer Kinder befürworten, sind dies in den neuen Ländern lediglich 13 Prozent. Auch die Ablehnung von Studiengebühren fällt im Osten höher aus als im Westen. Gesamtschulen bzw. längere Zeiten des gemeinsamen Lernens stoßen im Osten auf größere Zustimmung als im Westen. Die GEW-Vorsitzende Eva-Maria Stange erklärt sich diese Ost-West-Unterschiede mit den unterschiedlichen Lebenserfahrungen. Eine längere gemeinsame Schulzeit sei in der DDR üblich gewesen. Die Ergebnisse der IFS-Studie nannte sie interpretationsbedürftig. Sie vermute, dass das klare Votum für die Ganztagsschule weniger aus pädagogischen Erwägungen erfolge. Für viele stehe wahrscheinlich der Aspekt, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, im Vordergrund. Stange pflichtete Rolff bei, der eine Ganztagsschule, die nur zur »Aufbewahrung der Kinder« diene, als »kaum wirklichen Reformschritt« bezeichnete. Überzeugungsarbeit muss die GEW nach den Worten ihrer Vorsitzenden bei Eltern wie bei Politikern gleichermaßen leisten. Die PISA-Studie habe gezeigt, dass in Deutschland Kinder aus einkommensschwachen Familien und mit Migrationserfahrung im Bildungssystem benachteiligt würden. Stange begrüßte die Initiative der Bundesregierung, in den nächsten Jahren vier Milliarden Euro für den schrittweisen Aufbau von Ganztagsschulen zur Verfügung zu stellen. Die Kultusministerkonferenz (KMK) wurde von der GEW-Vorsitzenden kritisiert. Seit einem halben Jahr herrsche in der KMK ein »hektischer Stillstand«, die Chance auf nötige Bildungsreformen drohe in der föderalen Kleinstaaterei vertan zu werden. Stange forderte die Ministerpräsidenten der Länder auf, bei ihrem heutigen Treffen in Berlin die von ihren Finanzministern einstimmig angestrebten »Kürzungsorgien« bei der Bildung zurückzuweisen. Dass eine andere Schule möglich sei, auch wenn dies derzeit die Mehrheit der Eltern offenbar so nicht will, zeigen nach Stanges Überzeugung die beiden skandinavischen Länder Finnland und Schweden. Dort gehen alle Schüler bis zur zehnten Klasse gemeinsam in die Schule, ein Sitzenbleiben gibt es nicht und in den ersten Klassen werden auch keine Noten vergeben. Dafür haben die Lehrer eine Präsenspflicht von 35 Stunden in der Woche. Zudem ist der Stellenwert der frühkindlichen...

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