Ein Herz für Außenseiter

  • Gisela Sonnenburg
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.
Statthaus Böcklerpark, ein Jugendzentrum in Berlin-Kreuzberg. Mittags, beste Fußballzeit. Kino-Atmosphäre herrscht im Foyer-Café, denn eine Leinwand vergrößert das WM-Geschehen. Eine faire Publikumsmannschaft: Kinder und Jugendliche vieler Nationen - aber sie alle sind Berliner. Rafek zum Beispiel. Er ist 11 und als Araber geboren. Selbst quirlig und agil, ist er »natürlich für Brasilien«. Lässig steht der Fratz in Jeans hinter den Sitzbänken im Café. Von hier aus kann er alles überschauen, aber auch mal rausgehen, um draußen mit zu spielen. Mit seiner Brasilien-Vorliebe ist Rafek nicht allein. Doch die meisten, die hier regelmäßig im Kollektiv zuschauen, votieren konsequent für die jeweils WM-Schwächeren. Es handelt sich sozusagen um ein begeistertes Protestpublikum - Außenseiter stehen hoch im Kurs. China zum Beispiel. Da erhob sich stets ein stöhnender Chor der Enttäuschung und Entrüstung, wenn die Asiaten Torchancen vergaben. Dabei hat hier niemand direkte Wurzeln zur chinesischen Kultur oder gar zum Kommunismus. Es geht um was Anderes: um das Prinzip praktizierter Chancengleichheit. Den Schwachen Mut machen wollen, gehört dazu. Darauf eine Limo! Immer nur auf Favoriten zu setzen, wie es sonst gesellschaftlich weit verbreitet ist, wäre dieser Jugend zu wenig. Sie weiß, was Außenseitersein bedeutet - und macht eine Tugend draus. Auf lange Sicht gewinnt die Sympathien, wessen Spielart der schönere Fußball ist. China sei »gut, aber nicht gefährlich«, fachsimpelt Tarek. Der Algerier mit Schnauzer, kurzen Locken, Nickelbrille und Ohrring kommt seit Jahren zum Fußball ins Statthaus: »wegen der Atmosphäre und der Freunde, die auch hier sind.« »Lust auf Tore« wollen die Fernseh-Reporter machen, doch die allein ist eben nicht, was zum Fußball treibt. Eine Jung-Mutter samt Kindern ist da, Stullen werden geteilt, Häppchen herumgereicht. In der 1. Reihe knutscht, wie im richtigen Kino, ein schwangeres Pärchen. »Es müssen nicht immer dieselben gewinnen«, sagt der werdende Vater Cemk, vor 24 Jahren als Türke in Berlin geboren. Er verspricht seiner ebenfalls türkischen Partnerin, dass sie, auch wenn der Nachwuchs da ist, Fußball sehen wird, statt zu kochen und zu bügeln. Ein pubertierender »SO 36«-Fan - er trägt die frühere Post-Bezeichnung des Herzens von Kreuzberg als Sweatshirt-Aufdruck - hat hingegen noch andere Träume: Er ist aktiver Kicker und spielt demnächst einem Förderverein vor. Da heißt es dann für die Anderen: Daumen drücken! WM-Kino im Juge...

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