»Meine Kritik am MfS bleibt«

Die PDS-Bundestagsabgeordnete Angela Marquardt über ihre jetzt gefundene Akte

  • Lesedauer: 6 Min.
Katrin Brandt - unter diesem Decknamen führte das MfS die heutige PDS-Abgeordnete Angela Marquardt seit 1987 als IM. Die heute 30-Jährige war damals Schülerin. Die Akte wurde kürzlich in den Archiven der Gauck-Behörde gefunden. Heute soll der Geschäftsordnungsausschuss des Bundestages darüber entscheiden, ob ein Verfahren eröffnet wird. ND sprach mit Angela Marquardt über den Vorwurf, IM gewesen zu sein.
ND: Seit Dienstag ist öffentlich bekannt, dass in der Gauck-Behörde eine IM-Akte Angela Marquardt gefunden wurde. Welche Reaktionen haben Sie bisher erreicht?
Sehr unterschiedliche. Ich wurde gefragt, warum ich über die Arbeit meiner Eltern nie gesprochen habe. Es gab ernste Nachfragen von Freunden, es gab Aufmunterung. Und es kam eine Menge wüste Beschimpfungen über Telefon und E-Mail - Stasisau und Ähnliches.

ND: Wann haben Sie erfahren, dass Ihre Eltern als IM für das MfS gearbeitet haben?
Ich wusste irgendwann als Jugendliche, dass meine Eltern Kontakte zum MfS haben. Den Begriff IM habe ich das erste Mal in der Wendezeit gehört. Mein Stiefvater, der zu unserer Familie kam, als ich neun Jahre alt war, war IM, wie ich heute weiß. Auch meine Mutter arbeitete mit dem MfS zusammen. Worum es dabei ging, das wusste ich damals natürlich nicht.

ND: Haben Sie nach der Wende mit Ihren Eltern darüber gesprochen?
Nein. Als meine Eltern 1987 aus Greifswald wegzogen, ging ich nicht mit. Es war insgesamt eine sehr schwierige familiäre Situation. Wir haben uns immer mehr auseinander gelebt. Ich habe mit meinen Eltern in den letzten zehn Jahren wenig gesprochen.

ND: Was war das MfS für Sie, als Sie Schülerin waren?
Es war für mich Teil des familiären Alltags. Eltern von zwei Mitschülern waren beim MfS. Dass einige Freunde meiner Eltern, die bei uns ein- und ausgingen, beim MfS gearbeitet haben, wusste ich anfangs natürlich nicht. Ich war ja bei den konspirativen Gesprächen nicht dabei. Eines Tages traf ich einen dieser Freunde zufällig im Bus und wollte ganz normal mit ihm reden. Daraufhin erklärten mir meine Eltern und zwei dieser Bekannten, dass ich die Familienfreunde in der Öffentlichkeit nicht kennen darf und über diese Kontakte nicht sprechen darf. Und offenbar ließen sie mich diese Schweigeerklärung schreiben, die jetzt gefunden wurde. Ich weiß es nicht mehr. Meine Mutter hat mir dieser Tage erzählt, dass mir die Erklärung diktiert wurde.

ND: In dieser handschriftlichen Erklärung geht es um mehr als Verschwiegenheit - auch darum, dass Sie das MfS freiwillig unterstützen und möchten, dass Feinde unschädlich gemacht werden.
Leute, die sich damit auskennen, haben mir erklärt, dass es der Text der üblichen IM-Verpflichtung ist. Es gab jedenfalls keine Aufträge an mich. Aber diese Freunde meiner Eltern waren auch meine Bekannten, und mit denen hatte ich weiter normalen privaten Kontakt, als meine Eltern nicht mehr in Greifswald wohnten. Ich kannte sie doch seit meinem neunten Lebensjahr. Ich wusste, dass sie beim MfS arbeiten, aber ich wusste nichts von IM, von Berichten usw.

ND: Sie sind in der Wendezeit, nach dem Herbst 1989, stark politisiert worden. Hat es Sie nicht stutzig gemacht, als Ihre Bekannten etwas über Kontakte und Ansichten etwa zum Neuen Forum oder zu jungen Leuten aus der Kirche wissen wollten?
Ich war 18, und über das Neue Forum habe ich wahrscheinlich mit allen Leuten diskutiert, die ich kannte. Mein Leben stand praktisch über Nacht auf dem Kopf. In der Schule und im Schulinternat wurde alles komplett anders. Ich bin zu Demos gegangen, habe im Mai 1990 das Abitur gemacht, hing danach völlig in der Luft und ging in ein besetztes Haus. Da habe ich mir keine Gedanken über die Stasi gemacht, sondern darüber, was aus meinem Leben werden soll. Diesen Sommer habe ich mit anderen Punks am Bahnhof rumgehangen, Geld geschnorrt und Büchsenbier getrunken.
Als ich über den Kampf um das besetzte Haus mit PDS-Leuten in Kontakt kam, merkte ich schon, dass dort über das MfS diskutiert wurde. Aber das habe ich mit meinen Eltern verbunden, nicht mit mir. Warum auch - nur weil ich diesen Bekannten die Tür geöffnet hatte und während ihrer Besuche meine Geschwister beschäftigen musste?

ND: Haben Sie Akteneinsicht beantragt, als Sie 1995 stellvertretende PDS-Vorsitzende wurden?
Nein, ich habe die MfS-Kontakte immer auf meine Eltern bezogen. Allerdings muss ich nun zur Kenntnis nehmen, dass mich diese Familiengeschichte doch einholt.

ND: Haben Sie auch 1998, als Sie für den Bundestag kandidierten, angesichts etlicher MfS-Enthüllungen in der PDS nicht versucht, sich Klarheit zu verschaffen?
Ich habe damals meine Mutter gefragt, ob es in dem Zusammenhang irgend etwas gibt, was ich wissen müsste. Sie hat das damals verneint und gesagt, dass die MfS-Kontakte nur mit meinen Eltern zu tun hatten.

ND: Aus einer Erklärung Ihrer Mutter geht hervor, dass 1989 MfS-Leute Ihren Eltern vorschlugen, dass Sie Theologie studieren könnten - wohl in der Absicht, das MfS könne so eine Quelle in Kirchenkreisen aufbauen. Wie fühlt man sich, wenn man merkt, dass es einen Punkt gab, an dem das eigene Leben ferngesteuert werden sollte?
Ich glaube, meine Mutter hat mir diesen Vorschlag damals gemacht, ohne dass ich wusste, woher er wirklich kam. Dass sich andere Menschen so über mich Gedanken gemacht haben, ist für mich schon merkwürdig. Es ist jetzt sehr schwer, mit meiner Mutter darüber zu sprechen.

ND: Sie haben als PDS-Politikerin die DDR und das MfS immer scharf kritisiert. Was ändert sich am Nachdenken darüber, wenn man plötzlich selbst vom IM-Vorwurf betroffen ist?
Mindestens in einem fühle ich mich bestätigt: in der Kritik am MfS. Ein System, das auf Überwachung der Menschen aufbaut, kann man nur kritisieren. Ich war in den Stasidebatten immer für die Einzelfallprüfung, aber vielleicht habe ich manches Mal bei der Beurteilung von Menschen zu schnell den Mund aufgemacht, statt etwas gründlicher nachzudenken. Vielleicht habe ich mir mit ziemlicher Rigorosität Urteile über Biografien angemaßt - diesen Vorwurf muss ich mir sicher gefallen lassen. Ich sehe ja jetzt am eigenen Beispiel, dass ein Fall viel komplizierter sein kann, als es auf den ersten Blick den Anschein hat.

ND: Was wird Ihrer Meinung nach demnächst schwieriger für Sie - mögliche Anfeindungen von politischen Kontrahenten oder Auseinandersetzungen und Debatten in der PDS?
Mein größtes Problem in diesem Zusammenhang bleibt meine Familiensituation. Und natürlich wird die Diskussion in der PDS nicht einfach. Ich habe schon Hinweise darauf, dass es Leute in der PDS gibt, die meine Akte mit einer gewissen Schadenfreude registrieren. Aber wie gesagt: Meine Kritik am System der DDR und am MfS bleibt - daran ändert sich nichts.

Interview: Wolfgang Hübner
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