nd-aktuell.de / 14.01.2011 / Brandenburg / Seite 12

Grelles und Grausiges

Das Kino Arsenal präsentiert in einer Werkschau alle Langfilme des Regie-Kauzes Tim Burton

Kira Taszman

Es bricht einem fast das Herz, mit anzusehen, wie Edward sich bei Tisch vergeblich müht, mit seiner Gabel eine Erbse aufzuspießen. Denn Edward, das unfertige Produkt eines wahnsinnigen Erfinders, hat Scheren statt Hände an den Unterarmen. In Tim Burtons Filmmärchen »Edward mit den Scherenhänden« (1990) verstößt die Gemeinschaft der ›Normalen‹ schließlich den Titelhelden, den Johnny Depp mit wildem Haarschopf und Unschuldsblick berührend verkörpert.

Dieses Werk voller grell-komischer Effekte und Grausamkeiten ist typisch für seinen Regisseur Tim Burton (Jahrgang 1958). Das Markenzeichen des gelernten Zeichners sind seine zauberhaften Bilderwelten, die früher oder später ihre schauerlichen und gefährlichen Seiten offenbaren. Das Magische und das Bedrohliche sind bei Burton zwei Seiten einer Medaille und seine Szenenbilder reflektieren diese Doppelbödigkeit. In Edwards quietschbunter Vorstadtsiedlung entpuppen sich betuliche Hausfrauen als hysterische Intrigantinnen.

Bei der Ikonografie des Expressionismus wiederum bediente sich Burton für die Darstellung des Jenseits in seinem amüsanten Schauermärchen »Beetlejuice« (1988). Dessen schiefe Gänge und Winkel erinnern sehr an die Szenerie von »Das Cabinet des Dr. Caligari«. In »Sweeney Todd« (2007) dagegen, einem Filmmusical über einen blutrünstigen Barbier, kreiert Burton im Studio ein viktorianisches London, dessen Künstlichkeit den Gruselfaktor potenziert.

Abgründe der menschlichen Natur, wie Gier, Grausamkeit und Machtstreben bilden eine inhaltliche Konstante in Burtons Werk. Seine Schurken sind facettenreich: mal ein Clown, mal ein Richter, mal ein kopfloser Reiter.

Letzterer spukt in der um 1800 spielenden Horrorgeschichte »Sleepy Hollow« (1999), einer in betörenden Bildern gedrehten Literaturverfilmung nach Washington Irving. Zu den wuchtigen Klängen von Burtons Hauskomponisten Danny Elfman verhandelt sie den Widerstreit zwischen Wissenschaft und Aberglauben. Siegen tut freilich das Übernatürliche – trotz des aufgeklärten Helden. Denn um Burton zu verstehen, muss man die Monster, Hexen und Untoten akzeptieren, die sein fantastisches Universum bevölkern. Dabei liefert der Kalifornier in seiner hinreißenden Science-Fiction-Parodie »Mars Attacks« (1996) sogar das ultimative Rezept zur Vernichtung von kriegerischen Aliens.

Sympathieträger ist bei Burton stets der Außenseiter. In sieben von 14 Filmen verkörpert ihn Burtons Leib- und Magendarsteller Johnny Depp – ein Glücksfall für die Filmgeschichte. Wie kein Zweiter kreiert Depp für Burton Charaktere, die vielschichtig und anrührend zugleich sind. Manche schotten sich ab, wie in »Charlie und die Schokoladenfabrik« (2005). Dort gibt Depp den Sonderling Willy Wonka wie einen Michael Jackson der Süßigkeiten: Er hat ein zauberhaftes Schoko-Imperium geschaffen, das er als Despot regiert. Angesichts des Riesenaufwands dieses Films, der Heerscharen von Special-Effects-Leuten und ein mehrmonatiges Training von acht Eichhörnchen für vier Filmminuten beanspruchte, fragt man sich zuweilen, ob der Regisseur seine opulenten Fantasien nicht etwas arg luxuriös auslebt.

Doch meist gelingt es Burton, seine dezidiert künstliche Welt samt ihren seltsamen Bewohnern so mit Emotionen aufzuladen, dass sie den Zuschauer tatsächlich bewegt. In seinem in Schwarz-Weiß gedrehten Meisterwerk »Ed Wood« (1994) porträtiert Johnny Depp den authentischen Titelhelden und »schlechtesten Regisseur der Welt« als liebenswerten Besessenen bar von Talent und Geschmack. Burton ist das Gegenteil von Wood: ein Meister seines Fachs.

Komplette Werkschau aller Langfilme im Kino Arsenal, 14.1.-10.2., Infos unter Tel: 269 55-100, www.arsenal-berlin.de/arsenal[1]

Links:

  1. http://www.arsenal-berlin.de/arsenal