nd-aktuell.de / 17.01.2011 / Kultur / Seite 15

Welt: gestern und heute

Hanns-Eisler-Revue im Berliner Ensemble

Stefan Amzoll

Mit Hanns Eisler lässt sich nicht gut Kirschen essen, aber gut springen. Die Etappen seiner Biografie, auch sein sprunghaftes Wesen, erlauben es. Bekanntlich hat der Mann, Komponist, Jude, Schönberg-Schüler, Kommunist, nahezu alles – außer KZ – durchgemacht. Die Revue, der Name trügt, ist mehr als eine Aufreihung vergnüglicher Teile. Sie zeigt widersprüchliche Lebenslagen, jähe Zeitumstände, in die Eisler gestellt war. Und in Szene kommt eine ganze Skala von Eigenheiten in seltener Ausprägung: anhaftend jenem so witzigen, erfindungsfrechen, explosiven, sanften, einfühlsamen, schalkhaften, zornigen, auch verzweifelten Menschen und Künstler.

Manfred Karges Inszenierung setzt biografische Akzente, sie geht meist chronologisch vor, sie zeigt eine unvergleichliche Bilderwelt (ja: unvergleichlich). Und sie demonstriert eine unvergleichliche, einzigartige Sprache (ja: unvergleichlich, einzigartig). Mit »Spartakus 1919« hebt die Revue an und endet mit dem schweigenden Abgang einer Zeichnung, darauf der kugelrunde, glatzköpfige Eisler, o-beinig, die Arme so rund wie die Jacke, in die Ferne tritt. Jene Zeichnung, ein Meisterstück an Beobachtungskunst, hat die Elisabeth Shaw einst gemacht. Striche, Linien, Insignien, Fotos, Aufkleber, Schattenrisse, Scherenschnitte, Kinoelemente – starr, springend, rotierend – tummeln sich auf dem Hintergrund. Der hat seine eigene Szenerie (Projektionenen/Filme: Frieder Aurin), eine, die so sehr ins Auge fällt wie sie sich den Liedern, Songs, Chören eng anschmiegt oder diesen Paroli bietet.

Enorm die Arbeit der Musiker unter Tobias Schwencke, der sich auch als Klavierbegleiter auf der Bühne betätigt. Er arrangierte den ganzen Reigen, instrumentierte, schuf Übergänge und eigene Chorsätze, etwa bei den Klavierliedern aus dem Exil, dirigierte. Eine blendende Leistung, tonsetzerisch so einfühlsam wie neuartig und leidenschaftlich in der Umsetzung.

Eisler selbst tritt in vielerlei Gestalt auf. Indirekt und am mobilsten, wenn seine Musik abläuft. Da steckt ja dieser gescheite Geist immer selber mit drin, ist verwickelt darin. Man sieht die Nachtigall trapsen, hört in den Liedern des Schöpfers Unruhe, seine Sanftheit, sein störendes Gewissen, seine Intelligenz, die bisweilen meckert wie die Spatzen in dürren Ästen. Ja, all das sieht man förmlich. Es tollt herum in den Chören, es schnüffelt in den leisesten Liedern wie »Es geht ein' dunkle Wolk' herein« oder in Strophen der »Wiegenlieder einer Arbeitermutter«.

Eisler tritt sodann als Stoffpuppe, geführt von einem Schauspieler, in Aktion. Gelegenheit, den Künstler selbst singen zu hören, vom Tonband, die »Kinderhymne« etwa, die von niemandem besser gesungen wurde als von Hanns Eisler selbst. Interaktion zwischen beiden. Roman Kaminski gibt den Burschen Eisler als Figur, sympatisch, angegraut, mit leicht wienerischem Akzent. Einmal – überraschend – tritt sogar Schönberg auf, die Inkarnation der »Abendröte« einer nicht enden wollenden »spätbürgerlichen Kunst«. Kaminski gibt die Eislersche Durchtriebenheit wieder, seine Gewitzheit, seine Schläue. Von McCarthy-Schergen wird Eisler gefragt, ob er Kommunist sei. Antwort: Er dürfe sich nicht Kommunist nennen, denn Kommunisten hätten die größten Opfer in schlimmster Zeit gebracht, was er von sich nicht sagen könne. Er sei Kom-po-nist.

Ins Zentrum gerückt: die Paarung Brecht/Eisler. Das »Lied des Händlers« aus »Die Maßnahme« wirkte, als wäre es heute geschrieben. Es sticht in den Kern der Profitwirtschaft. Was ist ein Mensch? »Ich weiß nicht, was ein Mensch ist, ich kenne nur seinen Preis.« Chöre, ihre Mitglieder pieksauber gekleidet, ja uniformiert, treten in Aktion (Kostüme: Jessica Karge). Das »Stempellied« singt eine mächtige, so elende wie geprügelte Kollektivität von Arbeitslosen. Die Macht ihres Gesanges prügelt zurück.

Szenen baut die Revue – aus Liedern. Das »Bankenlied«, wieder trotziger Chor mit Schauspielern jungen Geblüts. »Wir sind entlassen! Jetzt ist es so weit. Wir ziehn auf die Banken, revidieren die Kassen!« Die Notwendigkeit wirksamer Gegenaktion ist bildkräftiges Thema. »Resolution der Kommunarden« aus Brechts »Die Tage der Kommune« von 1935. »In Erwägung: ihr hört auf Kanonen/ – Andre Sprache könnt ihr nicht verstehn –/ Müssen wir dann eben, ja, das wird sich lohnen!/ Die Kanonen auf euch drehn!« Starker Szenenapplaus. Heute fällt derlei unter Terrorismusverdacht.

Vor dem schweigenden Abgang Eislers steht der Chor des »Solidaritätsliedes«. Es hebt zögernd an, steigert sich, endet gewaltig. Dann schauen die Sänger lange starr ins Publikum. Keine Regung. Ihre Kollektivität zerfällt. Das rote Tuch sinkt nieder. Niemand beachtet es mehr.

Der Abend, hohe Achtung gebührt der Leistung des gesamten Ensembles, brachte eine Sprache, die zwar alt ist, aber unerhört neu klang, unverbraucht, klar, unmissverständlich. Sie bleibt brauchbar, wider alle Anfechtungen.