nd-aktuell.de / 29.01.2011 / Kultur / Seite 32

Der Winter soll mein Frühling sein!

Sie kommen aus dem Wasser, als entstiegen sie einem Grab. Mystisch das Licht und das Gegenlicht. Die Welt dampft eisig lauter Neugeburten aus ... Kürzlich im Kolomenskoje-Park in Moskau: eine Szenerie wie in ganz Russland – Frieren im Zeichen des Kreuzes, das in den Marmor der Kälte geschlagen wurde. Am traditionellen »Tag der Taufe« findet alljährlich ein religiöses Eisbad statt – dreimal Untertauchen ist nötig zur Reinwaschung.

Verzeiht, ihr warmen Frühlingstage,
Ihr seid zwar schön, doch nicht für mich.
Der Sommer macht mir heiße Plage,
Die Herbstluft ist veränderlich;
Drum stimmt die Liebe mit mir ein:
Der Winter soll mein Frühling sein.
Der Winter bleibt der Kern vom Jahre,
Im Winter bin ich munter dran,
Der Winter ist ein Bild der Bahre
Und lehrt mich leben, weil ich kann;
Ihr Spötter redet mir nicht drein;
Der Winter soll mein Frühling sein.
Aus dem »Lob des Winters«

von Johann Christian Günther (1695 bis 1723)

Fotos: dpa/ Juri Kochetkov