nd-aktuell.de / 01.02.2011 / Politik / Seite 8

Wie viel Zloty ist ein Menschenleben wert?

Streit um »Genugtuung« für die Opfer der Flugzeugkatastrophe von Smolensk

Julian Bartosz, Wroclaw
Viele polnische Normalverbraucher – hierzulande Kowalskis genannt – stellen sich derzeit die existenzielle Frage, wie viel Zloty wohl ein Menschenleben wert sein könnte.

Ja, das ist eine makabre Frage. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Polens Regierung beschlossen hat, jedem Hinterbliebenen – Ehegatten, Eltern und Kindern – der 96 Opfer des Flugzeugabsturzes bei Smolensk am 10. April 2010 zum Trost 250 000 Zloty (63 000 Euro) zu zahlen, ist die Frage dennoch berechtigt. Vor allem wenn man die Summen dagegen hält, die bei anderen Katastrophen als Entschädigung oder finanzielle Genugtuung aus staatlichen Mitteln gezahlt wurden. Die »Mitglieder der Smolensker Familie« sollen nämlich für den Verlust ihrer Nächsten mit einem Mehrfachen dieser Summen »getröstet« werden.

Einige der anspruchsberechtigten Familienmitglieder empfinden allerdings auch dies – eingeschlossen die 40 000 Zloty Soforthilfe, die sie bekommen haben – als viel zu gering. Als Mindestsumme nennen ihre Rechtsvertreter 1 Million Zloty, also eine gute Viertelmillion Euro. Ein Dreifaches davon erhielt nämlich Frau Marta Kaczynska, die Tochter des tödlich verunglückten Präsidentenpaares. Übrigens, so argumentierte einer ihrer Rechtsvertreter, der Anwalt Rafal Rogalski, zahlten private Luftlinien den Hinterbliebenen von Katastrophenopfern rund 1 Million US-Dollar. Da die verunglückte Maschine in Staatsdiensten geflogen war, müsse eben der Staat dafür aufkommen. So wie im Falle der vor zwei Jahren bei Mieroslawice verunglückten Cassy-Maschine, an deren Bord sich 22 höhere Fliegeroffiziere befanden.

Ohne auf die subtilen gesetzlichen Einzelheiten einzugehen, ist bei dem Streit ums Geld nicht von Entschädigungen die Rede, sondern von »Genugtuung«.

Vor genau fünf Jahren barst auf dem staatlichen Messegelände in Katowice das Dach eines Ausstellungspavillons unter großer Schneelast und begrub 65 Taubenzüchter unter sich, die nur noch tot geborgen werden konnten. 140 Ausstellungsbesucher wurden schwer verletzt. Die etwa 100 Familien der Opfer dieser Katastrophe haben bis heute trotz eindeutiger Gerichtsurteile weder Entschädigung noch »Genugtuung« erfahren. Jaroslaw Pegal, einer der Schwerverletzten, der heute Invalide ist, sagte einer privaten Rundfunkstation: »Na ja, es gibt eben Gleiche und Gleichere. Bei Smolensk starben Minister und Generale, wir sind einfache Leute.«

Die Wochenzeitung »Polityka« erinnerte unlängst daran, dass Angehörige von 23 in der oberschlesischen Grube »Halemba« im November 2006 ums Leben gekommene Bergleute vom Staat mit 30 000 Zloty abgefunden wurden, wozu aus anderen Quellen insgesamt weitere 22 000 flossen. Für die Familien von 18 arbeitslosen Saisonarbeitern aus Nowe Miasto an der Pilica in Masowien, die Anfang Oktober 2010 auf der Fahrt zur Äpfelernte beim Zusammenprall eines Minibusses mit einem Laster den Tod fanden, gab es jeweils 2500 Zloty Sozialhilfe. Weder die Arbeitslosen noch der Fahrer waren versichert.