Tahrir bleibt das Widerstandszentrum

Menschenrechtsvertreter gegenüber ND: Mit Mubarak verschwindet auch seine »Opposition«

  • Karin Leukefeld, Kairo
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Kairoer sind auch am gestrigen Montag auf die Straße gegangen. Dennoch: Am siebten Tag der Proteste gegen den ägyptischen Präsidenten Mubarak wird eine Trennung zwischen den Demonstranten und den Millionen Menschen deutlich, die trotz massiver Einschränkungen versuchen, ihrem Alltag wieder Struktur zu geben.

Kurz nach Aufhebung der nächtlichen Ausgangssperre um acht Uhr, die am Vortag auf 16 Stunden ausgeweitet worden war, sind Zugangsstraßen und Nilbrücken zum Stadtzentrum mit Fahrzeugen blockiert. Leute versuchen, ihre Arbeitsplätze im Stadtzentrum zu erreichen, Arztbesuche oder Behördengänge zu erledigen, allerdings bleiben auch am Montag die meisten öffentlichen Einrichtungen und viele Geschäfte geschlossen.

Durch massive Präsenz der Armee rund um den Tahrir-Platz, der weiterhin das Zentrum der Proteste ist, ist ein Durchkommen noch schwieriger als am Tag zuvor. Zusätzlich zu den gepanzerten Fahrzeugen, die die Armee bereits Samstag vor dem Außenministerium und dem Gebäude des Ägyptischen Fernsehen an der Corniche al Nil zwischen der Brücke des 15.Mai und der Brücke des 6. Oktober in Stellung gebracht hatte, blockieren schwere Panzer das Nil-Ufer. Betonbarrikaden zwingen die Fußgänger durch schmale Durchgänge, an denen Taschen und Ausweise kontrolliert werden. Alle Zugangsstraßen zum Tahrir-Platz, einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt, sind hermetisch abgeriegelt, ebenso sind die meisten kleineren Straßen des umliegenden Viertels gesperrt, in dem sich historische Hotels, westliche Botschaften und vor allem viele Banken befinden, die seit Tagen geschlossen sind.

Der Taxifahrer, der nach einem langen Umweg über die Kasr-al-Nil-Brücke einen Weg zur Gartenstadt gefunden hat, entschuldigt sich freundlich, als er vor einem Militärposten stoppt. Von hier sei der Weg nicht mehr weit, erklärt er, bevor er rasch wieder umkehrt.

Die jungen Soldaten sind außerordentlich höflich, als sie nach dem Ausweis fragen, und zeigen hilfsbereit den Weg. In der Kasr-al- Aini-Straße, die normalerweise direkt auf den Tahrir-Platz führt, wird der Verkehr umgeleitet, Soldaten kontrollieren Papiere in Bussen und Minibussen. In einer scherbenübersäten Seitenstraße vor einer Behörde liegen zerstörte Autowracks.

Nicht weit von hier wohnt Hisham Kassem, früherer Herausgeber der oppositionellen Zeitung «Al Masri al Youm« und ehemals Vorsitzender der ägyptischen Menschenrechtsorganisation. Auch er war bei den Demonstrationen dabei, wurde mit Tränengas made in USA eingenebelt und hat erlebt, wie rechts und links von ihm Menschen von Gummigeschossen getroffen umfielen. Vor ihm auf dem Tisch hat er leere Patronenhülsen und Tränengaskartuschen aufgebaut, die er aufgesammelt hat.

»64 Milliarden Ägyptische Pfund hat die Börse schon verloren, die Banken sind geschlossen, ebenso die Gerichte – und das alles, weil ein einziger Politiker nicht bereit ist zurückzutreten«, ärgert sich Kassem. Stattdessen habe er seine Minister für die Fehler verantwortlich gemacht, die ihm angelastet werden. Das sei »ein verrücktes, absurdes Szenario, das aber nicht ewig dauern wird«, ist Kassem überzeugt. »Die Armee wird ihn auf Dauer nicht stützen, schon jetzt haben Generäle auf die Anordnung, mehr Gewalt gegen die Demonstranten einzusetzen, geantwortet, sie seien Soldaten, keine Schlächter.«

Die legalen Oppositionsparteien hätten allerdings kläglich versagt, meint Kassem auf die Frage, wer auf dem Tahrir-Platz die Demonstrationen organisiere. »Die Leute kommen, weil sie das Regime satt haben, aus allen Teilen der Gesellschaft«, sagt er, auch wenn sie vermutlich nur einen Bruchteil der 80 Millionen Ägypter repräsentierten. Nicht mehr als zehn Prozent seien Anhänger der Muslim-Bruderschaft, die sich von Anfang an zurückgehalten habe. Inzwischen fordert die Organisation die Aufhebung des Ausnahmezustandes und die Auflösung des Parlaments. Auch die oppositionelle Wafd-Partei hatte sich erst zu einer Unterstützung der Proteste durchgerungen, nachdem die Jugendorganisation Parteichef Sayyid al-Badawi mit ihrer Teilnahme an den Demonstrationen vor vollendete Tatsachen stellte. Diese Opposition habe das Regime geschaffen, sagt Kassem. »Mit Mubarak wird auch seine Opposition verschwinden.«

Um die Mittagszeit strömen immer mehr Menschen auf den Tahrir-Platz durch die Zugänge, die das Militär für die Demonstranten geöffnet hält. Alt und Jung, traditionell und modern gekleidet, viele verbringen schon Tage dort. Zelte sind aufgebaut, Essen wird verteilt, die Menschen richten sich auf einen weiteren Tag des Widerstandes ein.

Präsident Hosni Mubarak verweigert seinem zornigen Volk weiter eine Antwort. Die Ausgangssperre wird am Montag um eine weitere Stunde verlängert und beginnt bereits um 15 Uhr. Während der Verkehr um diese Zeit deutlich zurückgeht und Hubschrauber über dem Stadtzentrum kreisen, ist der Tahrir-Platz weiterhin dicht mit Menschen gefüllt, die nicht müde werden, ihre Botschaft zu skandieren: »Mubarak muss gehen.«

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