Jesus-Mörder

Aharon Appelfeld umkreist sein Trauma

  • Uwe Stolzmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Er ist 1932 ist er zur Welt gekommen, bei Czernowitz in der Bukowina, in einer Familie assimilierter Juden. Die Eltern des Aharon Appelfeld sprachen Deutsch, die Großeltern Jiddisch, Umgangssprache war Ukrainisch, die Amtssprache Rumänisch. 1940 ermordeten Antisemiten Aharons Mutter. Der Junge wurde in ein Lager deportiert, er floh, versteckte sich, dann folgte er sowjetischen Truppen als Küchenjunge. 1946 zog er nach Jerusalem, wo er Literatur-Professor wurde. Und Schriftsteller, ein produktiver Autor, fast jedes Jahr kommt ein neues Buch heraus.

Appelfelds Texte kreisen um die immer gleichen Themen – die Traumata der Überlebenden, die verschüttete Welt seiner Kindheit. »Katerina« entstand 1992. Ein Roman von quälender Ausweglosigkeit. Die Kulisse ist die Bukowina vor und nach 1900, damals eine Landschaft in Österreich-Ungarn, heute geteilt zwischen Rumänien und der Ukraine. Im Zentrum: ein ruthenisches (ukrainisches) Dorf, Sinnbild für Enge und Gewalt. Die Bewohner sind armselige Gestalten, doch eine Schicht im Land, meinen sie, stehe noch unter ihnen: die Juden. Was fühlt die Mehrheit gegenüber der Minderheit? Abscheu. Ekel. Hass. Man verhöhnt und beschimpft die »Jesus-Mörder«. Man jagt sie, bisweilen auch zum Zeitvertreib; Pogrome gehören zum Alltag.

Katerina, die Ich-Figur, ist zu Beginn des Buchs eine beliebige junge Ruthenin vom Land, die Mutter hart, der Vater ein Trinker. Katerina flieht in die Stadt, lebt dort zwischen Bettlern, im Bodensatz der Gesellschaft. Noch diese Obdachlosen blicken auf die Juden herab, auch Katerina, doch ausgerechnet von Juden wird sie gerettet. Als Hausmädchen jüdischer Bürger erhält sie Zugang zur fremden Kultur und ist bald fasziniert von Sprache und Tradition. Mehr noch: Sie verliebt sich in einen Juden, bekommt einen Sohn von ihm, Benjamin; später möchte sie gar aufgenommen werden in den »geheimen Stamm«. Die Juden – für die junge Frau sind sie plötzlich die Gebildeten, die Lebensklugen, die resignierenden Weisen. Ihre Landsleute: Barbaren.

Was für eine Wandlung, von Schwarz nach Weiß. Die Geschichte aber nimmt ein böses Ende. Katerinas Dienstherrschaft wird vom Pöbel getötet, später erschlägt ein Raufbold den Sohn Benjamin. Katerina muss den Mord mit ansehen; sie ersticht den Täter im Affekt und geht als Lebenslängliche ins Gefängnis. Erst in den Wirren gegen Ende des zweiten Weltkriegs kommt sie frei, nach über vierzig Jahren Haft. Ihre späte Zeit verlebt sie auf dem elterlichen Hof, in steter Zwiesprache mit toten jüdischen Weggefährten.

So beklemmend die Geschichte ist: Die Mission des Romans wirkt vordergründig, didaktisch. Katerina, die diese Mission transportiert, erscheint in ihrem philosemitischen Eifer wenig glaubhaft. Doch es gibt eindrückliche, schockierende Bilder im Buch, die nach der Lektüre bleiben. In einer Szene sehen wir Katerina als Häftling bei der Feldarbeit; noch herrscht Krieg, am Rübenacker fahren Güterzüge vorbei. Ihre Mitgefangenen, berichtet Katerina, wären mit Freudengeschrei auf die Züge zugerannt: »Tod den Händlern, Tod den Juden! Endlich verbrennen sie die Mörder des Herrn!« Wenig später ist die Protagonistin frei, eine Bäuerin mit blauem Kopftuch nimmt sie in ihrem Fuhrwerk mit. Auf Katerina wirkt die Welt der Freiheit seltsam wüst und leer, sie fragt: »Und wo sind die Juden?« Die Bäuerin erwidert: »Man hat sie weggebracht.« Wohin? »Zu ihrem Schicksal, Mütterchen«, sagt die Bäuerin, und in ihrer Stimme ist weder Trauer noch Scham. Eine Bukowina ohne Juden? Katerina wird sich nicht daran gewöhnen. Und, nein, ihr Schöpfer Aharon Appelfeld kann es auch nicht.

A. Appelfeld: Katerina. Roman. Aus dem Hebr. von Mirjam Pressler. Verlag Rowohlt Berlin. 254 S., geb., 19,95 €. Foto: R. Michel

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal