Rohstoffexporte auf Rekordhoch

Lateinamerikas Wachstum steht auf wackligen Beinen

  • Benjamin Beutler
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Wachstumsprognose ging auch in Lateinamerika nach oben. Doch die Wirtschaft profitiert in erster Linie von Rohstoffexporten.

»The boom is back«, hieß es erleichtert auf dem 41. »Weltwirtschaftsforum« (WEF), das vergangenes Wochenende im schweizerischen Luxusferienort Davos zu Ende ging. Die 2500 geladene Gäste hatten sich »optimistisch« gezeigt und auf das »Ende der Weltwirtschaftskrise« angestoßen. Die überwunden geglaubte Rezession von 2010 im Rücken setzt die globale Unternehmerschaft jetzt auf die schillernden »Emerging Markets«. Neben Asien wurde auf den Treffen zwischen hochrangigen Ministern, Staatspräsidenten und Wirtschaftsvertretern Lateinamerika zum Leitstern von Aufschwungsfantasien erklärt.

Der Kontinent – pünktlich zum Davos-Treffen hatte der »Internationale Währungsfonds« (IWF) die Wachstumsprognose 2011 für Lateinamerika von 4,0 auf 4,3 Prozent nach oben korrigiert – hat vor allem Rohstoffe zu bieten. Öl in Venezuela, Erdgas in Bolivien, chilenisches Kupfer, Kohle aus Kolumbien, Lithium im Dreiländereck Chile, Bolivien und Argentinien für Millionen von Akkus künftiger E-Autos, Agrarprodukte wie Soja und Fleisch aus Brasilien. Krisengebeutelte Anleger und Investoren projizieren da allerlei Profitmöglichkeiten.

Das WEF-Motto »Gemeinsame Regeln für eine neue Realität« macht auf Kuschelkurs, in den Ohren der aufstrebenden Ex-Kolonien muss das wie eine Drohung klingen. Denn in Politik und Wirtschaft der Industrienationen geht neben Inflationssorgen und Abschwungs-Alpträumen vor allem ein Gespenst um: Die Angst vor knapper und teurer werdenden Ressourcen.

Mit seinen 500 Millionen Einwohnern sei der riesige Kontinent vom Rio Grande bis nach Feuerland ganz auf der Bühne der »Neuen Weltordnung« aufgeschlagen, bejubelt Martin Sorrell, Chef des weltweit zweitgrößten Marketingkonzerns WPP den neuen »Motor der Weltwirtschaft«. Der englische Geschäftsmann steht exemplarisch für den Hype um die neuen Märkte. »Das ist die Dekade Lateinamerikas«, so der Millionär und Träger des britischen Ritterkreuzes. »Brasilien organisiert die Fußballweltmeisterschaft und die Olympischen Spiele«, die Großereignisse von 2014 und 2016 werden zur Messlatte für Wohlstand und Entwicklung in Lateinamerika, das als Erbe der Kolonialzeit mit der weltweit größten sozialen Ungleichheit zu kämpfen hat. Auch William Rhodes gibt sich euphorisch. »Ohne Zweifel« legt der Citybank-Chef seine Hand ins Feuer für den lateinamerikanischen Boom. Enrique Pescarmoza vom argentinischen Energie-Riesen IMPSA: »Wir haben zehn sehr gute Jahre vor uns, die wir ausnutzen werden.«

Doch so viel Neues passiert derzeit nicht. Ein Bericht der »Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Lateinamerika und die Karibik« (CEPAL) warnt vor einem »Rückfall in die Primärgüterproduktion«. Grund der raschen Erholung von den Auswirkungen der Finanz- und Bankenkrise 2008/2009 mit den bekannten Folgen für öffentliche und private Haushalte sei auch in Lateinamerika nicht der Verdienst gestiegener Leistungsfähigkeit von Industrie und Dienstleistungen. Das momentane Wachstum beruhe vor allem auf den »Exporteinnahmen von Rohstoffen in die Schwellenländer Asiens«.

Die »Interamerikanischen Entwicklungsbank« (IDB) bestätigt die strukturelle Vertiefung der Exportabhängigkeit. Im Dezember 2010 stiegen die Commodities-Exporteinnahmen um 29 Prozent, ein historisches Rekord-Hoch von 853 Milliarden US-Dollar. Chile, das als Musterland der freien Marktwirtschaft gilt, bestreitet 75 Prozent seiner Exporteinnahmen mit Kupfer. Lateinamerika läuft also Gefahr, weiter Rohstofflieferant für die Entwicklung anderer sein.

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