Wo Narren nichts zu lachen haben

In Gera kehrte Walter Braunfels' Oper »Ulenspiegel« zurück auf die Bühne

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.
Schellen schützen nicht vor Schlingen
Schellen schützen nicht vor Schlingen

Dass vor drei Jahren an der Deutschen Oper Berlin die »Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna« zum Erfolg wurden, lag gewiss nicht nur an Christoph Schlingensief, der dieses Werk von Walter Braunfels so bildmächtig auf die Bühne brachte und dabei Reflektionen über seine tödliche Krankheit einflocht. Es lag vor allem an der Musik dieses Komponisten, der einst so erfolgreich war wie Richard Strauss. Der dann von den Nazis als »Halbjude« aus allen Ämtern gejagt und mit einem Aufführungsverbot belegt wurde. Nach dem Krieg verhalf ihm Konrad Adenauer persönlich zur Rehabilitierung. Er betraute ihn mit dem Aufbau der Kölner Musikschule. 1954 starb der 1882 geborene Nachfahre der Spätromantik, ohne dass sein kompositorisches Schaffen wieder den gebührenden Platz auf den Bühnen gefunden hatte. Vor allem mit seinem bekanntesten Werk aus den zwanziger Jahren, der Oper »Die Vögel« nach Aristopahnes, ist er in den letzten Jahren gelegentlich wieder dorthin zurückgekehrt.

Dass sich auch der schon 1913 herausgekommene »Ulenspiegel« durchaus hören und sehen lassen kann, konnte man jetzt in Gera bestaunen, wo Intendant Matthias Oldag die Oper das erste Mal nach der Uraufführung wieder ausgegraben hat. Es ist ein Markenzeichen des mit Altenburg zusammengelegten ostthüringer Zweistädtehauses, sich mit Ausgrabungen aus der Deckung zu wagen. Hier hat man erfolgreich an eine Tradition angeknüpft, die schon in den 80er Jahren begonnen wurde. Und auch jetzt, da der Intendant und das Haus wegen eines 1,8 Millionen-Euro-Defizits für 2010 in die Schusslinie regionaler Politiker geraten sind, brachte man wieder eine überregional beachtete Großtat zu Wege. Mit Unterstützung des Komponisten-Enkels. Stephan Braunfels ist nämlich nicht nur ein gefragter Architekt, er hat sich auch schon öfter, so wie jetzt im Falle des »Ulenspiegel«, als Bühnenbildner bewährt.

Walter Braunfels langt bei dieser Oper mit der Wucht eines an Wagner geschulten und mit Richard Strauss oder Franz Schreker wetteifernden Komponisten zu. Und Jens Troester macht daraus am Pult des Philharmonischen Orchesters auch keinen Hehl. Man hört die Vorbilder und Konkurrenten immer wieder durch. Da blinzelt öfter mal Siegfried oder ein anderes Wagner-Geschöpf hinter Tills Rücken hervor. Und am Ende kommen im Duett mit seiner Liebe Nele sogar Erinnerungen an Wagners Tristan auf. Das schadet aber nicht. Denn die packende Dramatik der Geschichte entfaltet sich dennoch eigenständig.

Ulenspiegel verspottet anfangs, so wie man es von diesem Schalk erwartet, seine Genter Mitbürger. Die haben angesichts der spanischen Truppen, die unter Herzog Albas Führung vor den Toren der Stadt stehen, vor allem Angst um ihre Privilegien. Nachdem die Spanier aber Tills Vater Klas zu Tode gefoltert haben, um an den Spötter heranzukommen, wird der zu einem Widerstandkämpfer, der zu allem entschlossen ist.

Diesem packenden Stück Musiktheater haben Matthias Oldag mit seiner Regie, Stephan Brauenfels mit seinem abstrakten, wandlungsfähigen und atmosphärischen Bühnenbild und Henrike Bromber mit den stilisierten, aber historisch deutlichen Kostümen einen angemessenen szenischen Rahmen verschafft. Leider war der Sänger der anspruchsvollen Titelpartie, der Tenor Keith Boldt, am Premierenabend immer noch etwas grippegeschwächt, sein Potenzial freilich wurde auch so deutlich. Die überzeugendsten stimmlichen Leistungen lieferten Marie-Luise Dreßen als Nele, Olaf Plassa als Profoß, vor allem Shavleg Armasi als Klas. Zu Lachen gab es bei diesem Ulenspiegel nichts. Zum Staunen viel.

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