Wo ist die weibliche Expertise?

Kritik an rein männlicher Besetzung von Wachstums-Kommission

  • Lesedauer: 3 Min.
Tanja von Egan-Krieger ist Wirtschaftsethikerin und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac
Tanja von Egan-Krieger ist Wirtschaftsethikerin und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac

ND: Der Bundestag hat kürzlich die Enquete-Kommission »Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität« einberufen, die eine Bestandsaufnahme liefern und nachhaltige Perspektiven im Kontext einer sozialen Marktwirtschaft entwickeln soll. Sie haben öffentlich die durchweg männliche Besetzung bei den Experten der Kommision kritisiert. Was sind die Kernpunkte ihrer Kritik?
von Egan-Krieger: Es ist es untragbar, dass in einer Kommission, die sich Gedanken um die Zukunft unserer Wirtschaft und Gesellschaft macht, keine einzige Frau als Sachverständige geladen ist. Hier geht es ganz einfach um Fairness.

Zudem arbeiten gerade feministische Theoretikerinnen schon lange zu den Themen Wachstumskritik und alternative Wohlfahrtsmodelle. Kritische Ökonominnen haben die Debatte maßgeblich vorangebracht. Ihre Perspektive wird nun aber ausgeschlossen.

Was sind zentrale Aspekte feministischer Ökonomiekritik?
Kritisiert wird etwa, dass als Indikator wirtschaftlichen Wachstums zumeist das Bruttoinlandsprodukt gilt. Gesellschaftliche Arbeit wird gleichgesetzt mit bezahlter Arbeit. Unbezahlte Tätigkeiten, die jedoch auch einen großen Teil der gesellschaftlichen Arbeit ausmachen, werden in dieser Rechnung nicht berücksichtigt. Diese Formen der Arbeit – beispielsweise die Pflege von Angehörigen oder die Kindererziehung – werden historisch und noch immer zum großen Teil von Frauen erbracht. Sie werden aber nicht als Arbeit wertgeschätzt.

Ein Wachstumsindikator, der nur die Güterproduktion für den Markt ins Auge fasst, ist daher nicht in der Lage, etwas über die tatsächliche Lebensqualiät der Menschen auszusagen.

Wie ließen sich Wohlstand und Lebensqualität anders messen?
Kritische Ökonominnen entwickeln schon seit geraumer Zeit andere Indikatoren-Modelle, die nicht allein auf ökonomischem Wohlstand basieren, sondern auch andere Faktoren miteinbeziehen, die ein gutes Leben ausmachen. Dazu gehören etwa der gesellschaftliche Zugang zu Bildung und Gesundheit, Fragen der Verteilungsgerechtigkeit oder der politischen Teilhabe.

Am 6. Februar trifft die Enquete-Kommission zu ihrer ersten Sitzung zusammen. Sie haben mit Kollegen aus der Nachhaltigkeitsforschung einen Protestappell initiiert. Wer hat bisher unterzeichnet?
Bislang haben rund 140 Menschen diesen Aufruf unterzeichnet, darunter etwa die Ehrenvorsitzende des Bunds für Umwelt und Naturschutz Angelika Zahrnt oder der Europaparlamentsabgeordnete und Attac-Mitgründer Sven Giegold. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Mitglieder aus dem Attac-Koordinierungskreis oder von den Grünen sind unter den Unterzeichnern.

Es mag uns nicht gelingen, unser eigentliches Anliegen – die Neubesetzung der Kommission – durchzusetzen. Trotzdem erwarten wir, dass sachverständige Frauen in die weitere Arbeit einbezogen werden. Das Mindeste wäre, dass der Bundestag bei der Besetzung zukünftiger Enquete-Kommissionen stärker auf eine gleichberechtigte Besetzung achtet.

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac plant im Mai einen Kongress zur Wachstumskritik, den sie mit vorbereiten. Wird das Thema feministische Ökonomiekritik dort eine Rolle spielen?
Ja, durchaus. Dieser Kongress wird feministische Perspektiven mit ins Zentrum rücken. Im Gegensatz zur Enquete-Kommission bemühen wir uns auch um eine geschlechterparitätische Besetzung der Podien und Foren.

Fragen: Ina Beyer

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