Südamerikanisches Feuer vor der Gefriertruhe

EINFACH MAL PROBIERT: Ein Argentinier feiert in seinem Hamburger Supermarkt mit den Kunden regelmäßig eine Peña

  • René Gralla
  • Lesedauer: 3 Min.
Veranstalter Frederico Breitung mit den Gastsängerinnen Laura (l.) und Marisol
Veranstalter Frederico Breitung mit den Gastsängerinnen Laura (l.) und Marisol

Eine Runde von Freunden, sie lachen, trinken, essen, und plötzlich steht jemand auf und rezitiert ein Gedicht. Danach greift sich ein anderer die Gitarre, spielt ein Lied, und alle singen mit. Das erste Paar beginnt zu tanzen, und dann gibt es kein Halten mehr – die Party endet erst, wenn die Sonne wieder aufgeht.

Das ist eine südamerikanische Peña. Das Wort ist aus der indigenen Sprache der Mapuche abgeleitet und bedeutet sinngemäß: »Zusammenkunft unter Brüdern.« Geburtsland der Peña ist Argentinien, und von dort hat sich das Konzept über den Kontinent verbreitet. Wobei die Peñas eine ganz besondere Bedeutung während der Pinochet-Diktatur in Chile erlangt haben, weil Regimegegner die harmlos gesellige Fassade nutzen konnten, um Widerstand gegen die Terrorherrschaft zu organisieren.

Mit Schwestern und Brüdern gemeinsam die Arbeitswoche ausklingen lassen, das möchte der gebürtige Argentinier Federico Breitung, und so hat er die Kultur der Peña nach Hamburg importiert – ausgerechnet in eine Gegend der Hansestadt, wo kalte Effizienz regiert: am Winterhuder Weg zwischen Tankstelle, Videocenter und den 70er-Jahre-Mundsburg-Türmen: Jeden Freitag bleibt der Surmiex Supermercado, den Federico Breitung führt, auch nach Ladenschluss geöffnet. An der Bar, die der 52-Jährige in seinem Supermarkt eingerichtet hat, werden Empanadas serviert, die lecker gefüllten Teigtaschen, während eine Band neben der Gefriertruhe ihre Mikrofone installiert.

»Eine richtige Familienfeier« sei das, sagt Breitung, eine Peña eben, und die sei nicht einmal geplant entstanden. Die Kunden, die bei ihm südamerikanische Produkte kaufen – von der Cremespeise »Dulce de leche« über argentinische Weine bis zum brasilianischen Bohneneintopf »Feijoada« –, hätten die Ware oft spontan mal probieren wollen und seien dabei gleich länger geblieben. Er selber singe gerne Karaoke, die Lieder hat er auf seinem Laptop. Allmählich habe sich der Freitag für diese Ad-hoc-Fiestas eingependelt, und so sei sie entstanden: eine echte Peña im Norden. Im Supermarkt.

Inzwischen gibt es ein Kernprogramm. Künstler aus der lokalen Latinoszene treten auf, aber auch spontane Gastbeiträge sind erwünscht, wie es sich für eine Peña gehört. Die dürfen gerne auch mal andere Klangfarben beisteuern. Einen regelrechten Kultstatus genießt zum Beispiel ein Schotte, der sich »Elvis« nennt und wie der King des Rock 'n' Roll röhrt.

Natürlich wird auch getanzt, je später der Abend, desto heftiger. Deswegen gehen auch die Peruanerin Marisol und ihre Freundin Laura aus Mexiko regelmäßig in den Supermercado. »Party im Supermarkt, das ist cool, außerdem treffen sich hier die Latinos«, schwärmen die beiden. Wobei »Gringos« nicht draußen bleiben müssen, auch sie haben den Ort als Geheimtipp entdeckt. Genau dieser Geist der Toleranz spiegelt das Konzept der Peña wider – Menschen verschiedener Kulturen entdecken spannende Gemeinsamkeiten und spannende Unterschiede, die inspirieren.

Abgesehen davon ist die Peña von Federico Breitung eine kleine Auszeit: »Ich möchte, dass meine Gäste für ein paar Stunden die Wärme des Südens spüren«, wünscht er sich. Besucherin Anna, die von Moskau an die Elbe gezogen ist, dankt es ihm. Eine Art »Kurzurlaub« sei das hier, sagt die Neuhamburgerin, ein wunderbarer Ausgleich zu ihrem stressigen Job in der Beraterbranche.

Für die, die keine Gelegenheit haben, mal eben am Freitagabend in Hamburg vorbeizuschauen, hat Breitung die größten Hits aus dem Surimex Supermercado auf CD gebrannt. Für manch einen könnte das vielleicht auch Motivation sein, selber mal eine Peña auf die Beine zu stellen. Einfach mal nachfragen bei der netten Compañera und dem netten Compañero im Mercado gleich um die Ecke.

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