nd-aktuell.de / 15.02.2011 / Kultur / Seite 8

Lang und gut

Dieter Dorn / Nach 38 Jahren Theater-Intendanz in München ist im Sommer Schluss

Hans-Dieter Schütt

Zahlen töten Texte. Ziffern zerstören den Rhythmus eines Artikels. Datenangaben sind die Hacker im Auftrag der Informationsfetischisten. Hier aber ist Zahlenwerk unbedingt vonnöten: Dieter Dorn wurde 1983 Intendant der Münchner Kammerspiele, vor einigen Jahren wechselte er mit dem Ensemble quasi die Straßenseite, zog ins Residenztheater und ist nunmehr im 38. Jahr eines Direktorats in dieser einen Truppe. Das hat kommunistisch grundiertes generalsekretärisches Format! Aber aus den Jahren heraus drangen nur Töne eines glücklichen Volks, des spielenden wie des zuschauenden. Vor einigen Tagen hatte am Residenztheater »Käthchen von Heilbronn« Premiere, Dorns letzte Inszenierung am Haus, das er am Ende der Spielzeit als Intendant freigibt. In Richtung Ruhestand nach einem Leben für jenen theatralischen Organismus, der zu den prägenden der Bundesrepublik zählte.

Dorn, 1935 in Leipzig geboren, 1956 in den freien Westen geflohen, Schauspieler und Reporter und Regisseur in den Provinzen, war 1971 Oberspielleiter an den Münchner Kammerspielen geworden; seine Ära war eine Epoche der Königinnen und Könige, und diese Herrscher waren allesamt Schauspieler, Rolf Boysen, Thomas Holtzmann, Gisela Stein, Lambert Hamel, Jens Harzer, Cornelia Froboess ... Hier hat Thomas Langhoff zu DDR-Zeiten seine ersten großen West-Inszenierungen vollführt – als er nach zehn Jahren Intendanz am DT etwas ratlos um sich sah, war es der Blick seines Freundes Dorn, der ihn aus München traf, und er arbeitete erneut an dessen Haus. Wo es nie eine Frage war, was mit den Großen würde, wenn sie große Alte würden.

Dorns Theater, das sich besonders an Shakespeare und Strauß befeuerte, war stets ein Theater des Staunens, der Wunderdroge Wort, des literaturgläubigen Hineingleitens in ein Stück. Er sprang nicht in den Text wie in Geröll, er trampelte sich keine Pfade durch die Handlung, er schnitt den Dichtern keine Schleifenwege ab – er ist ein Virtuose des bedächtigen horchenden Malens, er strahlt in Demut vor dem Thron der Weltdramatik. Jenem Lichteinfall, den Dichtung wirft, stets näher als dem Regieeinfall, der nur aus modischen Sonnen flimmert.