nd-aktuell.de / 21.02.2011 / Politik

Fünf Euro mehr ab Januar, ab 2012 noch mal drei Euro drauf

Regierung und Opposition erzielen Hartz-IV-Einigung / Bundesregierung begrüßt Einigung / SPD äußert wenige Bedenken / Grüne und LINKE halten Ergebnis für verfassungswidrig

Berlin (epd/dpa/ND). Die schwarz-gelbe Koalition und die SPD haben nach achtwöchigen Verhandlungen in der Nacht zum Montag in Berlin eine Einigung über die Hartz-IV-Reform erzielt. Danach steigen die Regelsätze für 4,7 Millionen erwachsene Hartz-IV-Empfänger in zwei Stufen um zunächst fünf, später noch einmal um drei Euro. Eine Verständigung gab es auch über drei neue Mindestlöhne und die Finanzierung des Bildungspakets für bedürftige Kinder. Das teilte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) nach Abschluss der Verhandlungen mit.

Die Leistungen für erwachsene Hartz-IV-Bezieher steigen rückwirkend vom 1. Januar an um fünf auf 364 Euro, zum 1. Januar 2012 um weitere drei Euro. Hinzu kommt im nächsten Jahr die Anpassung der Leistung an die Preis- und Lohnentwicklung. Damit wurde von der Spitzenrunde der Vorschlag der Ministerpräsidenten Böhmer, Kurt Beck (SPD) und Horst Seehofer (CSU) , den Regelsatz um acht statt fünf Euro zu erhöhen, in abgeänderter Form angenommen. Die Grünen waren zuvor aus den Verhandlungen ausgestiegen.

Das Bildungspaket mit Zuschüssen zu Vereinsbeiträgen, Schul-Mittagessen und Nachhilfe für rund 2,5 Millionen bedürftige Kinder und Jugendliche wird drei Jahre lang um je 400 Millionen Euro aufgestockt. Von dem Geld sollen die Kommunen die Einstellung neuer Schul- und Jugendsozialarbeiter sowie das Mittagessen in der Hortbetreuung bezahlen. Die Kosten für die Bildungsleistungen, die nach Angaben der Regierung mit 1,2 Milliarden Euro veranschlagt werden, sollen Städte und Gemeinden vollständig erstattet bekommen auf demselben Weg, auf dem sie auch den Bundeszuschuss zu den Mietkosten der Hartz-IV-Empfänger erhalten.

Beim Thema Mindestlöhne verständigte sich die Runde auf eine Lohnuntergrenze in der Zeitarbeit im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, die nicht unterschritten werden kann, auch dann nicht, wenn die entleihenden Betriebe geringere Löhne zahlen als die Leiharbeitsfirmen. Zwei weitere Mindestlöhne soll es im Wachgewerbe und in der Weiterbildungsbranche über das Arbeitnehmerentsendegesetz geben. Insgesamt haben danach 1,2 Millionen Arbeitnehmer mehr als heute Anspruch auf einen Mindestlohn, davon 900.000 Leiharbeiter. Die Regelung soll zum Mai in Kraft treten, wenn der deutsche Arbeitsmarkt für Osteuropäer uneingeschränkt geöffnet wird.

Die Einigung über die Hartz-IV-Reform soll nun am Dienstag im Vermittlungsausschuss beschlossen werden. Anschließend müssen Bundestag und Bundesrat dem Vermittlungsergebnis zustimmen, das gilt als Formsache. Nach den Worten von Beck wird dafür eine Sondersitzung des Bundesrats am Freitag angestrebt.

Schwesig: Bedenken bleiben nach Hartz-IV-Einigung

Die SPD wertet den Kompromiss als Erfolg. »Das kann sich insgesamt sehen lassen«, sagte die Verhandlungsführerin der Sozialdemokraten, Manuela Schwesig, am Montag im ZDF-Morgenmagazin. Dennoch habe ihre Partei weiterhin Bedenken bei der Berechnung der Regelsätze für die rund 4,7 Millionen Hartz-IV-Empfänger. »Wenn die Bundesregierung an dieser Stelle auf ihrer juristischen Meinung beharrt, dann muss sie da auch die Verantwortung übernehmen, wenn das Verfassungsgericht es noch einmal anders entscheidet«, sagte die Schweriner Sozialministerin.

Grüne: Hartz-Kompromiss nicht verfassungskonform

Die Grünen haben die Einigung der Koalition mit der SPD auf eine Hartz-IV-Reform als völlig unzureichend kritisiert. »Wir haben erhebliche Zweifel, dass das, was jetzt herausgekommen ist, verfassungskonform ist«, sagte Parteichefin Claudia Roth am Montag in Berlin. Das Verhalten der Grünen, die die Verhandlungen vorzeitig verlassen hatten, war aus Roths Sicht »kein Rausmogeln, sondern der Versuch, glaubwürdige Politik zu machen«.

LINKE: Hartz-IV-Ergebnis ist empörend und verfassungswidrig

Die LINKE-Vorsitzenden Gesine Lötzsch und Klaus Ernst und der Vorsitzende der Linksfraktion Gregor Gysi halten das Ergebnis der Hartz-IV-Arbeitgruppe als Verhöhnung der Betroffenen. Selbst die für 2012 avisierten drei Euro mehr seien lediglich ein Inflationsausgleich. »Alle Hartz-IV-Parteien haben sich mit den statistischen Fälschungen der Arbeitsministerin abgefunden und die Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts ignoriert. Die willkürliche Veränderung der Berechnungsgrundlagen, um den Sparvorgaben des Finanzministers gerecht zu werden, ist verfassungswidrig.« Es sei ein Skandal, dass die Hartz-IV-Parteien acht Wochen verhandeln mussten, um eine Erhöhung des Regelsatzes um insgesamt 8 Euro zu erreichen. Die gleichen Parteien hätten nur eine Woche gebraucht, um mit 480 Mrd. Euro die Banken zu retten. DIE LINKE erneuerte ihre Forderung, einen monatlichen Regelsatz von 500 Euro einzuführen. »Dieser Regelsatz ist finanzierbar, wenn wir in dieser Gesellschaft endlich auch wieder die Menschen zur Kasse bitten, die die Krise verursacht und an ihr verdient haben«, so die Führung der Partei DIE LINKE.

Sozialverbände und Gewerkschaften lehnen Hartz-IV-Kompromiss ab

Der Paritätische Wohlfahrtsverband forderte die SPD auf, das Vermittlungsergebnis nach Zustimmung des Bundesrates durch eine Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen. »Das Geschacher um drei Euro mehr oder weniger ist die erbärmlichste Farce, die die deutsche Sozialpolitik je erlebt hat«, kritisierte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Wohlfahrtsverbandes. Die Fortschritte beim Bildungspaket könnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Politik die rund 4,7 Millionen erwachsenen Hartz IV-Bezieher im Regen stehen lasse. Das Ergebnis sei ein Affront gegenüber dem Bundesverfassungsgericht, sagte Schneider.

Auch die Diakonie rügte den Beschluss von Regierung und Opposition. »Endlich wissen die Leistungsberechtigten, woran sie sind. Allerdings liegen die fünf Euro mehr rückwirkend ab 1. Januar weit unter dem Betrag, den die Diakonie gefordert hatte, und die rechtlichen Unsicherheiten bei der Regelsatzermittlung bleiben bestehen«, sagte Diakonie-Präsident Johannes Stockmeier.

Koalition zeigt sich zufrieden

Einzig die Koalition hält diesen Kompromiss für ausgewogen. Nachdem sich lange nichts bewegt habe, »sind wir nun zu einer guten Lösung gekommen«, sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) am Montag. »Ich gehe davon aus, dass sie eine breite Mehrheit sowohl im Vermittlungsausschuss wie auch im Parlament finden wird. Die Politik hat damit ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt«, sagte Böhmer.
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) wies die Bedenken der SPD im ZDF zurück. »Ich glaube, dass diese politische Entscheidung auch vor Gericht Bestand haben wird.«

Weitere Informationen zum Thema in der ND-Ausgabe vom 22.02.2011