nd-aktuell.de / 22.02.2011 / Kultur / Seite 16

Sammeltasse Glück

Gundermann-Party

Hans-Dieter Schütt
Am Wochenende war Gundermann-Party in Hoyerswerda. Gestern wäre er 56 Jahre alt geworden. Der Arbeiter und Sänger aus dem Tagebau Spreetal. Gerhard Gundermann ist seit 1998 tot.
Sammeltasse Glück

Er hat ein Werk geschaffen, nun wartet er. Das ist die Haupttätigkeit eines Poeten in fortlaufender Zeit – die vordergründig den Eindruck macht, er sei nicht mehr an ihr beteiligt. Woran, muss man sich fragen. Am Fortrennen der Zeit ist Gundermann wahrlich nicht mehr beteiligt, das stimmt, er ist aber Vor-Läufer aller, die noch leben. Und war ein Sänger, von dem man ahnen darf, dass er auf dem Wege zu einem Dichter ist.

Denn so, wie er Avantgardist des sozialistischen Engagements war, des unablässigen Drachentötens, so wurde er nach den Abenteuern dieser ständigen Vergesellschaftung des eigenen Ichs ein Avantgardist der Melancholie, des Sinnumwandels von Verlusten. Aus einer Poesie, deren Schöpfer doch nie wusste, dass er auf frühen Abschied zuschrieb, tauchen nun letzte Dinge der Existenz auf, als seien sie ein einziges Blühen. Und sind doch traurigste Dinge. So wird der Mann dringlicher und dringlicher. Über die Menschen »ausm tagebau« schrieb er: »die haben harte hände und ein hartes herz/ die streiten ohne ende und die sterben früh/ die suchen ein vergnügen/ und finden nur den schmerz/ die können lügen aber leben können die nie«. Und über den Ort, an dem alles anfängt: »hier bin ich geborn/ so wie ins wasser fiel der stein/ hier hat mich mein gott verlorn/ und hier holt er mich wieder ein«. Und den Fährmann sieht er, der nimmt die »bleichen seelen« ins boot, die wollen »weg vom hunger, weg vom durst/ weg vom schnaps und von der wurst/ weg vom geld und weg vom salz/ weg vom fenster und vom hals«. Wir sollten sie gehen lassen, »lasst sie noch mal die enkel sehen/ und überm haus ne wende drehn/ und schüttet ihre sammeltasse glück in die Welt zurück«.

Die Sammeltasse Glück zurückkippen in die Welt, ehe man auf die Reise geht. Ein Gott, der den Menschen ins, ans Leben verliert, ihn aber wieder einholt. Da liegt ein Zittern im Vers, als habe jemand von den Antworten zurück zu den Fragen gefunden, es ist dies stets die schwierigste Expedition. Gundermann: Siege stürzend spüren, den Aufflug erdenschwer. Er ist ein großartiger Dialektiker, der darüber lächeln kann, dass die weit entfalteten Schwingen unseres Denkens immer auch die schwärzesten Schatten werfen.

An so einem Abend, der sich Party nennt, hörst du von asketischer Weltbenutzung, von Paradiesen des Randes, empfindest Seelenräumlichkeit, die von Dichtung herrührt, der eingebungsvollsten philosophischen Übung. Und springst aufs Leben auf, siehst den Fährmann und willst ihn noch 'ne lange Weile warten lassen.