Held der Leere

Stendal: »Der Held der westlichen Welt«

  • Thomas Irmer
  • Lesedauer: 3 Min.

Vom Aufstieg und Sturz eines Helden ist in diesen Tagen viel die Rede. Tatsächlich lässt sich mit Synges heute nur noch selten gespieltem Stück auch die Guttenberg-Story in irisch-poetisch-derber Verfremdung erkennen. Womit die Aktualität der Inszenierung von Hannes Hametner am Theater der Altmark Stendal einen gewitzten Extra-Schub erhält.

Christopher Mahon hat seinem Vater mit der Schaufel eins übergebraten und flieht ins nächste Kaff, wo man im Wirtshaus eine solch dreiste Tat für Heldentum hält. Mahon erhält neue Kleider, bekommt die Tochter des Wirts versprochen und bewährt sich in einem Wettkampf – bis der Vater mit seinem nur arg lädierten Schädel auftaucht. Nun muss Christopher ihn, in der Aufrechterhaltung seiner Heldenstory, ein zweites Mal niederstrecken.

Doch die Stimmung kippt, dem Helden soll es an den Kragen gehen, die Behörden sind ihm auch schon auf der Spur. Am Ende zieht der noch einmal auferstandene Vater mit seinem Sproß von dannen, die Sache ist gut fürs Erzählen »von den Narren, was hier gibt«. Zurück bleiben, die den Held sowieso gern losgeworden wären, und jene, die nun seinen Verlust beklagen. Wozu also Helden, und was bringt sie zu Fall?

Eine grandiose, sprachmächtige Posse, die bei ihrer Uraufführung 1907 wegen der negativen Darstellung des irischen Landlebens nebst angeblicher Anzüglichkeiten einen Skandal auslöste. Peter Hacks und Elisabeth Wiede dichteten 1956 ihre deutsche Fassung dieses gewiss nicht leicht zu übersetzenden Stücks fürs Berliner Ensemble. In Stendal ist diese großartige Übersetzung ein bedeutender Teil der Wiederentdeckung.

Hametner begreift diese Ödipus-Variante des Misslingens als einen Vorläufer Becketts, dessen »Godot« er in Stendal vor reichlich einem Jahr in grundlegend neuer Interpretation vorstellte. Auf die zunächst im Studioformat genutzte Hinterbühne hat Christopher Melching eine schäbige Holzwand gebaut, durch deren viel zu niedrige Wirtshaustür die Figuren nur halb geduckt eintreten. Diese Koloritkulisse ist zugleich der Unterbau für ein Schattentheater darüber, in dem einige der nur berichteten Szenen – wie etwa der zweite Schaufelhieb – gezeigt werden.

Diese Balance zwischen Sehen und Reden erlaubt dann auch eine Spielweise, in der nicht – wie Synge das im Sinn hatte – jede Bewegung allein durch Sprache hervorgebracht werden muss. Prall ist das Figurenbild dennoch, und die insgesamt zehn Spieler, also fast das gesamte Ensemble, legen sich mächtig ins Zeug.

Sören Ergang spielt den jungen Mahon als naiven Aufsteiger, der, bald in Seidenklamotten, von seinem Vater schnell wieder runtergemacht wird. In diesem Alten von Bernd Marquardt, einem graubärtigen Polterer, ist leicht zu erkennen, dass es doch recht vergeblich ist, eine Veränderung der lächerlichen und um nichts weniger grauenhaften Verhältnisse zu erwarten. Egal, ob nun gerade ein Held von den Frauen gefeiert wird (wie von der hier sehr schönen Witwe Quin – Claudia Lüftenegger) oder von anderen Aufsteigern beneidet (so Jan Kittmann sehr deutlich als nicht ganz so armer Jungbauer). Am Ende öffnet sich der Schattenvorhang hin zum großen Parkett des Theaters, und die Mahons laufen gleichsam ins leere Publikum des großen Saals. Das ist ein großes Schlussbild, auch eine Theatermetapher für die Leere in der zuschauenden Gesellschaft, vor allem aber eine große Geste, dass sich dieses Stück in die Gegenwart öffnen kann.

Nächste Vorstellung: 24. Februar

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