nd-aktuell.de / 04.03.2011 / Wissen / Seite 16

Traum und Wirklichkeit

Sachsen: Um kulturelle Bildung ist es nicht gut bestellt

Jochen Mattern
Wenn es um die kulturelle Bildung in der Schule geht, dann geraten deren Verfechter nicht selten ins Schwärmen. Kinder sollen da schon mal zum Olymp geführt werden, obwohl es dort bekanntlich alles Andere als friedfertig und kulturvoll zuging. Doch für Begeisterungsstürme gibt es keinen Grund, wie ein Blick auf den Alltag an Sachsens Schulen zeigt.

Sachsens Kultusminister Roland Wöller (CDU) geriet jüngst bei der Vorstellung seines Programms zur Stärkung der kulturellen Bildung ins Schwärmen. Er nennt es »Kultur(t)räume – Frühkindliche Bildung kreativ«. Zur Begründung greift er auf die übliche frühkindliche Bildungsrhetorik zurück: »Kinder lernen besonders in der Kindergarten- und Grundschulzeit mit viel Begeisterung und Neugier. Genau hier setzen wir mit der kreativen frühkindlichen Bildung an. So können die Kinder von Anfang an für Musik, Theater oder Kunst begeistert werden, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft. Damit schaffen wir schon früh mehr Chancengerechtigkeit für einen erfolgreichen Bildungsweg.«

Das Programm dient der Zusammenarbeit von Kindergärten, Grund- und Förderschulen mit Kultureinrichtungen und der Entwicklung kreativer Bildungsangebote für den Unterricht. Zu dem Zweck bilden die genannten Einrichtungen Projektteams, von denen aus jedem der acht sächsischen Kulturräume eines ausgewählt und für zwei Schuljahre mit bis zu 12 000 Euro gefördert wird. Insgesamt hat das Programm eine Laufzeit von zwei Haushaltsjahren.

Ein Blick in die Unterrichtsstatistik ergibt jedoch ein ganz anderes Bild. Es entlarvt die vollmundigen Ankündigungen des Kultusministers als zynische Phrasen. Denn was nützen die besten Projekte, wenn der reguläre Schulunterricht in Kunst und Musik kaum stattfindet oder vielfach von fachfremden Personen erteilt wird. Das ganze Ausmaß der Misere in der kulturellen Bildung verdeutlichen die folgenden Zahlen: Allein im ersten Schulhalbjahr 2009/2010 fielen in den sächsischen Grundschulen exakt 12 237 Stunden aus. Im selben Zeitraum betrug an den Mittelschulen der Unterrichtsausfall im Fach Kunst 3245 Stunden und in Musik 4036 Stunden. In den Gymnasien fielen 2434 Sunden Kunstunterricht aus und 3887 Stunden Musikunterricht. Dazu kommt, dass ein großer Teil des Kunst- und Musikunterrichts von fachfremden Lehrkräften erteilt wird. An Sachsens Grundschulen unterrichten 1758 Lehrpersonen Kunst und Musik, von denen aber nur 1076 über eine entsprechende fachliche Ausbildung verfügen. An den Mittelschulen beträgt das Verhältnis 510 zu 321.

Wie groß das Gefälle zwischen der üblichen Bildungsrhetorik und der Bildungswirklichkeit ist, das belegen die Zahlen aus der Unterrichtsstatistik. Und das gilt sicher nicht bloß für den Freistaat Sachsen. An der Misere des schulischen Kunst- und Musikunterrichts ändern Programme wie das aus dem sächsischen Kultusministerium gar nichts. Im Gegenteil, sie verstärken nur den Trend, Kunst und Musik aus dem regulären Unterricht zu verdrängen und in den Freizeitbereich schulischer Ganztagsangebote zu verlagern. Zudem sind sie billiger zu haben als die Ausbildung des entsprechenden pädagogischen Fachpersonals. Insofern läuft die Projektförderung der kulturellen Bildung zuwider. Kulturelle Bildungsprojekte, die immer nur Wenige erreichen, sind sinnvoll nur dann, wenn der obligate Schulunterricht tatsächlich stattfindet und nicht andauernd ausfällt. Nur auf dieser Basis reifen Kulturträume und können schließlich wahr werden.

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Linksfraktion im sächsischen Landtag.