Spielen heißt lernen

Vor 150 Jahren starb der deutsche Erzieher Friedrich Fröbel

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 4 Min.
Noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurden Kinder wie kleine Erwachsene behandelt. Es gab kein Kinderspielzeug, keine Kinderbücher, keine kindgerechte Erziehung. Schon die Kleinsten mussten häufig zum Unterhalt der Familie beitragen und arbeiten. Erst mit den Schriften des französischen Aufklärers Jean-Jacques Rousseau setzte sich in Europa allmählich die Erkenntnis durch, dass Kindheit eine eigenständige Entwicklungsphase ist, für die Erwachsene mehr Respekt und Verständnis aufbringen sollten. Friedrich Wilhelm August Fröbel war einer der Ersten, der dies in Deutschland tat. Der Sohn eines Pfarrers, der am 21. April 1782 im thüringischen Oberweißbach zur Welt kam, versuchte sich zunächst als Forstwirt und Architekt, bevor er mit 23 Jahren seine wahre Berufung entdeckte: die Kindererziehung. Er wurde Hauslehrer einer Adelsfamilie, deren Söhne er von 1808 bis 1810 gemeinsam mit dem Schweizer Erziehungsreformer Johann Heinrich Pestalozzi betreute. Nach dem Studium der Naturwissenschaften in Göttingen und Berlin kämpfte Fröbel als Freiwilliger in Lützows Freikorps gegen Napoleon. 1816 gründete er in Griesheim die »Allgemeine Deutsche Erziehungsanstalt«, die er wenig später nach Keilhau bei Rudolstadt verlegte. Hier verfasste er zahlreiche pädagogische Schriften, darunter sein Hauptwerk »Die Menschenerziehung«, in dem es heißt: »... nur die genügende Entwicklung des Menschen auf jeder vorhergehenden Stufe bewirkt eine genügende vollendete Entwicklung jeder folgenden späteren Stufe.« Fröbel war überzeugt, dass Kinder beim Spielen am besten lernen. Für jede Stufe der frühkindlichen Entwicklung entwarf er spezielle Spielmaterialien, die unter seiner Regie in einer Manufaktur hergestellt und vertrieben wurden: Bälle, Kugeln, Walzen, Kegel, Legetäfelchen, Stäbchen, Papier zum Falten. Daneben organisierte er so genannte Spielkreise, in denen Kinder unter Anleitung eines Erwachsenen diese Gegenstände benutzen konnten. Was noch fehlte, war ein Name für die neue Einrichtung. Bei einem langen Spaziergang durch den Thüringer Wald kam Fröbel die zündende Idee: »Kindergarten soll die Anstalt heißen!« Denn es war sein sehnlichster Wunsch, kleine Kinder so frei wie Blumen in einem Garten gedeihen zu sehen. Am 28. Juni 1840 wurde im Rathaussaal von Bad Blankenburg der erste »Allgemeine deutsche Kindergarten« gegründet. In den folgenden Jahren reiste Fröbel quer durch Deutschland, um für seine Ideen zu werben, die besonders nach der Revolution von 1848 viele Fürsprecher fanden. Dennoch konnten damals nur wohlhabende Familien ihre Sprösslinge in einen Kindergarten schicken, da die Erzieherinnen mit ihrer Tätigkeit zugleich ihren Lebensunterhalt verdienen mussten. 1851 veröffentlichte der »Preußische Staatsanzeiger« eine Ministerialverfügung, die alle Kindergärten in Preußen verbot - mit der Begründung, dass dort atheistisches und sozialistisches Gedankengut verbreitet werde. Fröbel glaubte zunächst an ein Missverständnis, doch seine Eingaben und Petitionen blieben ohne Wirkung. Erst acht Jahre nach seinem Tod, er starb am 21. Juni 1852 in Marienthal, hob die preußische Regierung das Verbot wieder auf. Zu jener Zeit hatten seine Schüler die Idee des Kindergartens längst nach Westeuropa und Amerika getragen. 1933 wurde die Entwicklung der Kindergärten in Deutschland erneut unterbrochen. Denn mit der Verdrängung vieler Frauen aus dem Arbeitsprozess konnten deren Kinder tagsüber zu Hause bleiben, und die Zahl der Kindergärten, die alle unter der Trägerschaft der NS-Volkswohlfahrt standen, nahm rapide ab. Erst als weibliche Arbeitskräfte verstärkt in der Rüstungsindustrie gebraucht wurden, kehrte dieser Trend sich teilweise wieder um. Nach dem Ende des Krieges gingen die beiden deutschen Staaten getrennte Wege in der vorschulischen Erziehung. Die Bundesrepublik knüpfte unmittelbar an die Traditionen der Weimarer Zeit an. Das heißt: Die freien Träger der Jugendhilfe wie Wohlfahrtsverbände oder Kirchen hatten Vorrang vor den öffentlichen Trägern, die durch die Jugendämter vertreten wurden. Die DDR hingegen gliederte die Kindergärten bereits 1949 in das Bildungssystem ein. Das Recht auf einen Kindergartenplatz war im Osten gesetzlich verankert. Besuchten 1950 rund 20 Prozent aller Drei- bis Sechsjährigen eine schulvorbereitende Einrichtung, waren es 1989 fast 95 Prozent. In der Bundesrepublik lag der Versorgungsgrad zur selben Zeit nur bei 65 Prozent. Nach der Wende wurde das Kindergartenmodell der DDR weitgehend stigmatisiert. Dennoch wirkt das soziale Vorbild aus dem Osten bis heute nach. So besteht in der Bundesrepublik seit 1996 der formale Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Und auch die bundesdeutsche Vorschulpädagogik beruft sich weiter auf die Fröbelschen Erziehungsideale, doch leere Kassen im Bildungsbereich lassen deren Verwirklichung oft illusionär erscheinen.
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