nd-aktuell.de / 12.03.2011 / Wissen / Seite 28

Die Affäre Neptun

Vor 200 Jahren wurde der Astronom Urbain Le Verrier geboren

Martin Koch

Von der Antike bis in die frühe Neuzeit gingen Astronomen davon aus, dass im Sonnensystem neben der Erde nur fünf Planeten existieren: Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn. Der sechste Planet, Uranus, wurde zwar bereits im 17. Jahrhundert mit dem Fernrohr gesichtet, jedoch fälschlich für einen Fixstern gehalten. Erst als im März 1781 der deutsch-britische Astronom William Herschel den Uranus mit einem selbst gebauten Spiegelteleskop erneut am Himmel aufspürte, setzte sich die Erkenntnis durch, dass es sich hierbei um einen Planeten handelt.

Allerdings wich dessen tatsächliche Bewegung deutlich von der Bahn ab, die man mit Hilfe der Newtonschen Himmelsmechanik berechnet hatte. Da seinerzeit kaum jemand an Newtons Autorität zu rütteln wagte, nahmen einige Astronomen an, dass ein weiterer Planet durch seine Gravitation die Bahnbewegung des Uranus störe. Wo aber befand sich der große Unbekannte? Nur mit Papier und Bleistift ausgerüstet, machte sich der französische Naturforscher Urbain Le Verrier im Juni 1845 daran, dieses Problem zu lösen. Ein Jahr lang rechnete er. Dann schickte er seine Ergebnisse an den Berliner Astronomen Johann Gottfried Galle, der den neuen Planeten am 23. September 1846 kaum ein Grad entfernt von der vorhergesagten Position beobachtete. Der zunächst »Le Verriers Planet« genannte Himmelskörper erhielt später den Namen »Neptun«.

Urbain Le Verrier wurde am 11. März 1811 in Saint-Lô geboren. Er studierte ab 1831 an der Pariser École polytechnique und arbeitete, bevor er sich der Astronomie zuwandte, als Ingenieur. 1853 übernahm er die Leitung der Pariser Sternwarte, wo er unter anderem versuchte, auch die Störungen der Merkurbahn auf einen verborgenen Planeten zurückzuführen, welchen er »Vulkan« taufte. Doch die weltweite Suche danach lief ins Leere. »Vulkan« gibt es nicht. Und spätestens seit Albert Einstein wissen wir, dass sich die Bahnstörungen des Planeten Merkur aus der Allgemeinen Relativitätstheorie ableiten lassen.

Nach der Beobachtung des Neptun erfuhr Le Verrier, dass auch ein Engländer namens John C. Adams die Position des neuen Planeten am Himmel vorausberechnet, aber keine Möglichkeit gefunden hatte, sie praktisch nachmessen zu lassen. Es kam daraufhin zu einem Streit unter Astronomen, wer denn nun als der »wahre Neptun-Entdecker« anzusehen sei. Nachweislich war Adams mit seinen Rechnungen früher fertig geworden als Le Verrier. Und er habe auch dessen Genauigkeit in der Voraussage erreicht, verlautete aus England. Dies nachzuprüfen, blieb Historikern jedoch bis vor kurzem verwehrt. Denn viele Originalpapiere von Adams waren in der Bibliothek des Royal Greenwich Observatory auf rätselhafte Weise verschwunden.

Erst vor wenigen Jahren sind sie im Nachlass des früheren Hauptassistenten des Königlichen Astronomen wieder aufgetaucht. Und sie zeigen, dass Adams sich eher halbherzig darum bemüht hatte, seine Ergebnisse praktisch verifizieren zu lassen. Zudem erstreckten sich seine Vorhersagen über einen viel größeren Bereich am Himmel als jene von Le Verrier. Um dieses ihnen unliebsame Faktum zu verschleiern, veröffentlichten britische Astronomen im nachhinein nur die »besten« Neptun-Daten von Adams.

Von alldem wusste Le Verrier natürlich nichts. Vielmehr scheint die Neptun-Affäre mit dazu beigetragen zu haben, dass er als Leiter der Pariser Sternwarte immer despotischer auftrat und schließlich seines Postens enthoben wurde. Er starb am 23. September 1877 in Paris.