Umfragen sind Papiertiger

  • Brigitte Zimmermann
  • Lesedauer: 3 Min.
Flattersatz: Umfragen sind Papiertiger

Die närrischen Tage sind vorbei, nicht alle tragen deshalb Trauer. Denn jetzt sind wir wieder ganz normal närrisch. Und das heißt, viel Vorsicht walten zu lassen wegen der verborgenen Narreteien, die, getarnt als Notwendigkeiten, rund um die Uhr an uns herangetragen werden. Genarrt wird und werden wir praktisch immer, nicht nur während der fünften Jahreszeit. Manchmal narren wir uns auch selbst.

Zum täglichen Brot, dem sich manche allerdings verweigern, gehört der Konsum politischer Meinungsumfragen. Eine Woche Deutschlandtrend der ARD, eine Woche ZDF-Politbarometer. Meist vorgetragen mit einem Anspruch, als würde sich gleich der Himmel auftun. Dazwischen die regelmäßigen Nachforschungen für RTL und »Stern«, von zahlreichen anderen Erkundungen über Landes- und Regionalpolitik ganz zu schweigen. Außerdem nichtrepräsentative Umfragen großer Boulevardblätter, die überaus repräsentativ dargeboten werden. Wer braucht das, und wem nützt es?

Nötig sind diese Aufträge sicher für Infratest dimap (Deutschlandtrend), die Forschungsgruppe Wahlen (Politbarometer), Forsa und andere Institute. Sie leben nicht zuletzt von den Bestellungen großer Medienanstalten, haben also ein natürliches Interesse an zeitlicher Verdichtung und immer spezielleren Themen der Untersuchung. Aber auch alle Bäcker sind daran interessiert, mehr Brötchen und Kuchen zu verkaufen. Ist aber nicht, selbst wenn 45 weitere Produkte erfunden würden.

Auch Meinungsforscher wissen, dass sich die Politik höchst selten im Wochen- oder 14-Tage-Rhythmus ändert. Manche, die keine Meinungsforscher sind, behaupten sogar, sie ändere sich so gut wie gar nicht. Trotzdem stecken ARD und ZDF viel Gebührenzahlergeld in dieses Ringelspiel, das meist nur Veränderungen im Nanobereich ausweist. Sie tun es, weil solche Ermittlungen, eingestanden oder nicht, mittlerweile ein Teil der Unterhaltungsbranche sind. Und damit ein Beitrag, die Politik herunterzuziehen auf den Augenblick, die wirkungsvolle Geste, die mitunter schnell vergessen sind oder sich als hohl herausstellen. Für das, was Politik eigentlich sein sollte – überlegt handeln unter sorgsamer Abwägung aller Interessen –, gibt es in kurzatmigen Umfragen keine Punkte. Das ist, sofern es noch vorkommt, nicht spektakulär genug. Denn ein nicht geringer Teil des Publikums glaubt wohl, ein Recht auf Show zu haben. Ganz normal närrisch eben.

Jedenfalls sollte keiner glauben, Meinungsumfragen würden große Wertschätzung für die Meinung des Volkes ausdrücken. Zwar kann sich die Politik nicht völlig unabhängig davon machen. Schlechte Werte, ob verdient oder nicht, ermuntern die Konkurrenz in den eigenen Reihen und darüber hinaus. Aber richtig ernst nimmt die Politik das Ganze trotzdem nicht.

Man kann es am Fall Guttenbergs leicht erkennen. Wegen seiner hohen Beliebtheitswerte traute sich Angela Merkel zunächst nicht, dem großen Showtalent den möglichst einlagenfreien Rücktritt nahe zu legen. Aber so empfindsam gegenüber Volkes Stimme ist sie nicht immer. Dass seit Jahren zwischen 60 und 70 Prozent der Bevölkerung gegen den Afghanistan-Krieg sind und gegen die deutsche Beteiligung daran, ficht sie nicht an. Bei ihrer Atompolitik wurden bisher die Gegner auch einfach ignoriert.

Ebenso selektiv ist das Verhalten gegenüber Demonstrationen. Was deutsche Politiker als Ausdruck hohen Demokratiewillens in Nordafrika und Arabien feiern, rief in Stuttgart Wasserwerfer und Pfefferspray auf den Plan, obwohl Meinungsumfragen viel Sympathie für die Demonstranten gegen das Bahnhofsprojekt auswiesen. In Dresden galt die Aufmerksamkeit der Polizei jüngst vor allem den Gegendemonstranten wider rechte Aufmärsche. In Berlin standen 25 Hausbesetzern 2500 Polizisten gegenüber. Und das wegen Protesten, die keineswegs die staatliche Ordnung hier gefährden.

Umfragen sind Papiertiger. Schlimm wird es erst, wenn das Volk seine Meinung auch selbst vertritt.

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