nd-aktuell.de / 21.03.2011 / Politik / Seite 6

Schwarz-Gelb will Netzausbau für Ökostrom vorantreiben

SPD bietet Gespräche über neuen Energiekonsens an / Grünen wollen endgültigen Atomausstieg bis 2017

Angesichts der ungewissen Zukunft für eine ganze Reihe von Atomkraftwerken will die Bundesregierung jetzt den Netzausbau für Ökostrom beschleunigen. Wirtschaftsminister Brüderle geht von 3600 Kilometern neuer Trassen aus. Doch das ist umstritten.

Berlin (dpa/ND). Die Bundesregierung will das Aus für eine Reihe von Atommeilern mit mehr Ökostrom kompensieren und forciert entsprechend den Ausbau der Stromtrassen. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) kündigte an, dass dazu bis zu 3600 Kilometer neue Trassen nötig seien. Umwelt- und Naturschützer gehen – davon abgesehen, dass sie grundsätzlich Probleme mit neuen Hochspannungsleitungen haben –, von einem wesentlich geringeren Ausbauvolumen aus. Angesichts der Nuklearkatastrophe von Fukushima ist eine Mehrheit der Bundesbürger einer Umfrage zufolge bereit, mehr für Strom zu zahlen, wenn er nicht aus Kernkraftanlagen kommt.

Brüderle will Eckpunkte für ein »Netzausbaubeschleunigungsgesetz« heute offiziell vorstellen. Die Herausforderungen seien vergleichbar mit dem Ausbaubedarf der Infrastruktur nach der Wiedervereinigung, heißt es in dem Eckpunktepapier. In einem »Bundesnetzplan« sollen die notwendigen Trassenkorridore ausgewiesen und für den Bau von Hochspannungsleitungen reserviert werden. Mit einem »Offshore-Masterplan« sollen etwa Windräder vor den Küsten gebündelt an das Stromnetz angeschlossen werden. Gemeinden müssten den Leitungsausbau »im Interesse des Gemeinwohls« hinnehmen, heißt es in dem Papier, das der dpa am Sonntag vorlag. Sie sollten dafür einen finanziellen Ausgleich erhalten. Brüderle will die Länderzuständigkeit bei den Genehmigungsverfahren für Stromtrassen beenden und durch ein bundesweit einheitliches Verfahren ersetzen.

»Ein schnellerer Umbau unserer Energieversorgung hin zu den Erneuerbaren ist nicht zum Nulltarif zu haben«, sagte der FDP-Politiker der »Wirtschaftswoche«. Sollten die Atomkraftwerke dauerhaft abgeschaltet werden, bräuchte Deutschland zur Kompensation neue Gas- und Kohlekraftwerke. Bayerns Umweltminister Markus Söder (CSU) forderte im Magazin »Focus« vom Bund ein neues Energiekonzept und ein sechs Milliarden Euro teures Sonderinvestitionsprogramm zum Ausbau der erneuerbaren Energien.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dringt auf gemeinsame europäische Sicherheitsstandards für AKW und will dies beim Europäischen Rat Ende kommender Woche thematisieren. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles geht davon aus, dass die Glaubwürdigkeit der Kanzlerin nach ihrem Meinungsumschwung in der Atom-Frage beschädigt sei. In der »Bild am Sonntag« sagte Nahles: »Sie hat sich als Politikerin entlarvt, die ihre Meinung je nach Stimmung wechselt.«

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hatte der schwarz-gelben Koalition Gespräche über einen neuen Energiekonsens für Deutschland angeboten. Die SPD sei bereit, den Ausbau neuer Stromnetze zu fördern, die Erdverkabelung voranzutreiben und die Modernisierung fossiler Kraftwerke mitzutragen, sagte er der »Hannoverschen Allgemeinen Zeitung«.

Die Grünen wollen das Atomzeitalter in Deutschland bis zum Ende der kommenden Legislaturperiode – also bis 2017 – beenden. Bis dahin sollen alle Kernkraftwerke endgültig stillgelegt werden, beschloss die Bundespartei auf einem kleinen Parteitag am Samstag in Mainz. Die Grünen wollen in den nächsten Tagen einen Gesetzentwurf zur Stilllegung der sieben ältesten Atomkraftwerke in den Bundestag einbringen. In dem Entwurf, der dem »Tagesspiegel« vorliegt, heißt es, dass die vor 1980 gebauten Atomkraftwerke »nicht oder besonders unzureichend gegen den Fall eines Flugzeugabsturzes oder eines terroristischen Angriffs mit einem Flugzeug gesichert« seien. Nach dem Aus für das Atomkraftwerk Neckarwestheim I geht die baden-württembergische FDP davon aus, dass auch der Meiler Philippsburg I endgültig abgeschaltet wird. FDP-Landtagsfraktionschef Hans-Ulrich Rülke wandte sich damit gegen die Haltung von Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU).