Zum Weiterbeschäftigungsanspruch und zur dreiwöchigen Klagefrist

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Gemäß § 102 Abs. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes muss der Arbeitgeber vor einer ordentlichen Kündigung den Betriebsrat anhören. Der wiederum kann einer ordentlichen Kündigung aus den in § 102 Abs. 3 BetrVG genannten Gründen binnen einer Frist von einer Woche widersprechen. Wie der Verband deutscher Arbeitsrechts-Anwälte informiert, kommt regelmäßig ein solcher Widerspruch bei betriebsbedingten Kündigungen in Betracht.

Wird ein solcher Widerspruch ordnungsgemäß ausgeübt, eröffnet der Betriebsrat dem Arbeitnehmer den Weg zum betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG.

Danach muss der Arbeitgeber einen ordentlich gekündigten Arbeitnehmer, der fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben hat, auch nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsverfahrens weiter beschäftigen. Allerdings muss der Arbeitnehmer vor Ablauf der Kündigungsfrist sein Weiterbeschäftigungsverlangen geltend gemacht haben.

Liegen die Voraussetzungen des § 102 Abs. 5 BetrVG vor – ordentliche Kündigung, ordnungsgemäßer Widerspruch des Betriebsrates, fristgerechte Kündigungsschutzklage und Weiterbeschäftigungsverlangen –, gilt das Arbeitsverhältnis auch über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage gegen die Kündigung als fortbestehend. Dabei ist es unerheblich, ob die Kündigungsschutzklage in letzter Instanz gewonnen wird oder nicht. Für den Arbeitnehmer ist diese rechtliche Konsequenz vor allem für das Geltendmachen von Entgeltansprüchen von Bedeutung.

Der Arbeitgeber kann sich von der Pflicht zur Weiterbeschäftigung durch Erlass einer einstweiligen Verfügung gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG befreien lassen, wenn die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, die Weiterbeschäftigung für den Arbeitgeber zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung führen würde oder der Widerspruch des Betriebsrates offensichtlich unbegründet war. Dieser Antrag kann während des gesamten Rechtsstreites über die Kündigung gestellt werden. Ist er erfolgreich, entfällt die rechtsgestaltende Wirkung des Weiterbeschäftigungsverlangens.

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Klagefrist: Arbeitsverhältnisse, die dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) unterliegen, können nur aus den im Gesetz genannten Gründen gekündigt werden. Liegen solche Gründe nicht vor, ist die Kündigung »sozial ungerechtfertigt« und rechtsunwirksam. Allerdings muss der Arbeitnehmer diese – und zwischenzeitlich auch jede weitere – Unwirksamkeit der Kündigung gemäß § 4 KSchG innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung durch Klage beim Arbeitsgericht geltend machen. Versäumt er diese Frist, gilt die Kündigung gemäß § 7 KSchG als rechtswirksam.

Was aber gilt, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zwar unter Umständen materiell wirksam gekündigt, aber die Kündigungsfrist falsch berechnet hat? Gerade vor dem Hintergrund der neuen Rechtsprechung zu § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB ist dies besonders bedeutsam.

Es liegen zahlreiche Fälle vor, in denen der Arbeitgeber unter Anwendung des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB gekündigt und deshalb eine zu kurze Kündigungsfrist zugrunde gelegt hat. Es fragt sich, ob derjenige, der sich dagegen nicht wehrt oder nicht gewehrt hat, gleichwohl noch Ansprüche (etwa auf Entgelt) geltend machen kann.

Der für das Kündigungsschutzrecht zuständige 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hat das in seinem Urteil vom 6. Juni 2006 (Az. 2 AZR 215/05) bestätigt. In dem entschiedenen Fall war dem Arbeitnehmer unter Nichteinhaltung der Kündigungsfrist gekündigt worden. Er machte nach Ablauf der 3-Wochen-Frist die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist und daraus resultierende Entgeltansprüche geltend.

Das BAG gab der Klage mit der Begründung statt, der Kläger sei nicht gehindert gewesen, die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist auch außerhalb der 3-Wochen-Frist des § 4 KSchG geltend zu machen. Der Arbeitnehmer, der lediglich die Einhaltung der Kündigungsfrist verlange, wolle nämlich gerade nicht die Sozialwidrigkeit oder die Unwirksamkeit des Kündigung also solche festgestellt wissen. Er gehe im Gegenteil von der Wirksamkeit der Kündigung aus und wolle nur geltend machen: Sie wirke, allerdings zu einem späteren Zeitpunkt, als es nach der Auffassung des Arbeitgebers der Fall sei.

Der für das Recht des Betriebsübergangs zuständige 8. Senat hat die Frage, ob die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist auch außerhalb der dreiwöchigen Frist möglich sei, im Urteil vom 21. August 2008 (Az. 8 AZR 201/07) ausdrücklich offen gelassen und seine Entscheidung damit begründet, das Recht des Arbeitnehmers, sich auf die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist zu berufen, sei verwirkt.

Der für Arbeitsentgelt zuständige 5. Senat entschied in seinem Urteil vom 1. September 2010 (Az. 5 AZR 700/09) anders. Auch in diesem Fall war eine Kündigung zum falschen Kündigungstermin ausgesprochen worden. Der Kläger hatte außerhalb der 3-Wochen-Frist Klage auf Leistung der Annahmeverzugsvergütung erhoben. Der 5. Senat führte aus, der Kläger hätte die unzutreffend angenommene Kündigungsfrist binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigung gerichtlich geltend machen müssen. Da dies nicht erfolgt sei, habe die Kündigung das Arbeitsverhältnis zum vom Arbeitgeber (falsch) angegebenen Kündigungstermin gemäß § 7 KSchG aufgelöst. Ausnahmeverzugsvergütung für die Monate bis zum richtig berechneten Beendigungszeitpunkt stünde dem Kläger daher nicht zu.

Arbeitnehmern ist also zu raten, auch die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist innerhalb der 3-Wochen-Frist geltend zu machen, sonst drohen Rechtsverluste.

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