Statt Abschiebung den Tod gewählt?

Suizid eines Flüchtlings in Niedersachsen

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Ihm drohte die Abschiebung nach Nepal. Er musste befürchten, sein in Deutschland geborenes Kind nie wieder zu sehen. Ihn erdrückten die Zustände im umstrittenen Lager Meinersen: den Asylbewerber Shambu Lama, der sich am 1. März 2011 verzweifelt in Gifhorn vor einen Zug warf. »Trieben Behörden den Flüchtling in den Tod?«, wollte die Linksfraktion im niedersächsischen Landtag jetzt von der Landesregierung wissen.

»Die Weiterfahrt verzögert sich wegen eines Notarzteinsatzes…«: So oder ähnlich sachlich, den wahren Grund verschleiernd, tönt es aus den Lautsprechern der Personenzüge, wenn ein Mensch auf den Schienen den Freitod gewählt hat. Ebenso sachlich und amtskorrekt klingt das Schreiben, mit dem Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) die Anfrage der LINKEN zum Sterben des 40-jährigen Shambu Lama beantwortet hat.

Ehe er überhaupt auf den Weg des Flüchtlings durch die Mühlen deutscher Bürokratie eingeht, verteilt der Innenminister erst einmal Presseschelte. Die Medien hätten nur Aussagen von Bewohnern des Heimes und von Flüchtlingsorganisationen wiedergegeben, und das auch noch unvollständig oder unrichtig.

Shambu Lama war 1996 nach Deutschland gekommen, angeblich unter falschem Namen – vielleicht hatte er das aus Angst getan. Das amtliche Hin und Her endete mit der Mitteilung des Landkreises Gifhorn: am 3. März 2011 solle Lama abgeschoben werden. Die Anwältin des Flüchtlings beantragte daraufhin beim Verwaltungsgericht, ihn weiter in Deutschland zu dulden, weil er hier Vater eines deutschen Kindes geworden war. Zu ihm hatte Lama mit Einverständnis der Mutter ein Umgangsrecht. Aufgrund des anwaltlichen Antrages wurde der Landkreis Gifhorn vom Gericht aufgefordert, bis zu dessen Entscheidung »von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen«. Daraufhin schrieb der Landkreis am 1. März ans Gericht: Das Umgangsrecht des Vaters mit dem Kind »in Form von gelegentlichen Besuchen« rechtfertige keinen weiteren Aufenthalt.

Noch bevor der Landkreis »die notwendigen Maßnahmen zur Stornierung der Abschiebung einleiten und das Verwaltungsgericht über den Antrag entscheiden konnte«, habe sich Shambu Lama am 1. März selbst getötet, stellt Uwe Schünemann in seiner Antwort sachlich fest. Und er fügt hinzu: Am Morgen des 1. März habe Lama – wenige Stunden vor seinem Tod – bei der Anwältin nachgefragt, wie es mit der Abschiebung aussehe. »Es ist nicht bekannt, welche Auskunft die Anwaltskanzlei dazu gegeben hat«, schreibt der Minister.

Besonders dieser Satz empört die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag, Pia Zimmermann. »Es ist nicht bekannt, welche Auskunft ... «: Diese Formulierung impliziere, dass die Anwältin dem Flüchtling womöglich gesagt habe: »Morgen oder in den nächsten Tagen wirst Du abgeschoben.« Und Schünemanns Satz impliziere weiter, womöglich aufgrund einer solch schlimmen Nachricht habe sich Lama umgebracht. »Uwe Schüneman versucht offenbar, einen Sündenbock zu finden – in diesem Fall die Anwältin«, sagte Pia Zimmermann im ND-Gespräch.

Der Freitod des Flüchtlings hatte auch bei den Fraktionen von Grünen und SPD Bestürzung ausgelöst. Die Opposition hatte sich schon mehrfach mit dem Lager Meinersen befasst, das nicht nur von Bewohnern als unzumutbar, eng und in der Isolation liegend bezeichnet wurde und wird. Auch Demonstrationen gegen die Zustände dort hat es gegeben. Angesichts der Anfrage der LINKEN hatte Uwe Schünemann nun auch zu jener Behausung Stellung bezogen: Es gebe keinen Grund für Beanstandungen, behauptet der Minister.

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