Einheitsdenkmal

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 6 Min.

Fürs Verehren haben wir eine Neigung. Nur vorgeschrieben darf die Verehrung nicht sein. Ist dies der Fall, produziert Verehrenmüssen eine Gegenempfindung. Auf diese Weise, sehr grob gesagt, wuchs in Deutschland eine zähe Aversion gegen das Nationale. So kommt es regelmäßig zu Situationen, in denen man in seltsam abweisender Stimmung gefangen sitzt – ein Produkt genau jener Verklemmung, die durch Verehrung nach Vorschrift entstand.

Diese Stimmung antinationaler Abkehr kriecht zum Beispiel hoch, wenn Denkmäler zur Diskussion stehen. Sie haben ein Schicksal, wie es Deutschland als Fußballnationalmannschaft hat. Spielt diese verdächtig in Siegesnähe, dann bemerkt man in bestimmten Kreisen eine fast orgiastische Behauptung von Vaterlandslosigkeit – als Trotz-Heimat gegen das Deutsche.

Jetzt ist wieder mal ein Denkmal im Gespräch: das Einheitsdenkmal auf dem Berliner Schlossplatz – stehen soll es auf dem Sockel des einstigen Nationaldenkmals für Kaiser Wilhelm I. Die Schaukel »Bürger in Bewegung« von Milla & Partner sowie Sasha Waltz (bis zu 1500 Menschen fasst die 350-Tonnen-Installation) wurde soeben wie ein Wettbewerbssieger vorgestellt. Sie soll an die Kraft kritischer Masse erinnern, die 1989 friedlich eine Revolution schaffte – so man denn der Interpretation zustimmt, dass eine Revolution dann vorliegt, wenn ein System per endgültig kompromissloser Revolte aus der Verankerung gerüttelt wird. Das Wegräumen der SED-Ordnung – von den Despotien sicher eine der milderen – nicht als Revolution anzuerkennen, hat den Klang vergilbter Geschichtslehre, wonach das Revolutionieren an eine ominöse Aufwärtsspirale gesellschaftlichen Fortschritts und also an Definitionsmuster just der verjagten Ordnung gebunden ist.

Der favorisierte Entwurf für besagtes Denkmal, diese 50 Meter lange Schale, steht am Ende eines ermüdenden Zeremoniells. Am 9. November 2007 war im Bundestag der Beschluss zur Errichtung eines Freiheits- und Einheitsdenkmals gefasst worden. Nach zwei Jahren hatten dann über 500 Entwürfe vorgelegen, keiner davon gewann das Gemüt der Juroren; das Ganze bekräftigte eher den Eindruck eines gigantischen Flohmarktes populistischer Spinnereien oder verkopfter Symbolismen.

Kein Wunder freilich, wenn man von einem einzigen Denkmal verlangt, es solle nun aber auch alles sinnfällig und plausibel erfassen, was einem bei den Themen DDR-Sturz, Mauerfall, Einheit, ja, beim Denken an die gesamte konfliktreiche deutsche Demokratiegeschichte so durch die Rübe rauscht.

Am Ende der vielen »geschichtspolitischen Verrenkungen« (Berliner Zeitung): Schulterzucken und Neuauslobung. Quasi alles auf Anfang. Jedoch auch die zweite Etappe erbrachte keinen wirklich überzeugenden Sieger. Drei Modelle blieben nun übrig, die Schale oder Wippe hat schließlich gewonnen.

Gewonnen? Irgendwie spielt sich der Eindruck in den Vordergrund, die Politik habe auf ein Tempo und eine Richtung der Entscheidung gedrückt, die sogar in der Jury auf Missfallen stieß. So sagte Kurator Matthias Flügge im Deutschlandradio Kultur, das ausgewählte Modell sei »mit Symbolik überfrachtet«, Jury-Vorsitzender Meinhard von Gerkan sei sogar »im Zorn« gegangen. Die Hinwendung von Politikern zur übergroßen Waagschale drücke deren früh absehbaren Wunsch aus, »alle kritischen Elemente« des Vereinigungsprozesses »unter Blattgold wegzupolieren«.

Kulturstaatsminister Bernd Neumann sorgte wohl ausreichend für stabile Lobby, wenn das Parlament demnächst etwas diskutieren wird, das im Grunde jetzt schon als festgelegt gilt. Die Grünen staunen daher unwirsch über das nunmehr äußerst flotte Entscheiden, nachdem sich doch bislang alles derart in die Länge zog. Statt verfrühter erster Verständigungen über die Realisierung sei daher jetzt »ein öffentliches Diskursverfahren« gefordert. Aus der Linksfraktion im Bundestag verlautet, der Beschluss sei »durchgepeitscht« worden – der Kulturausschuss überschreite seine Kompetenzen, wenn er gleichsam als Entscheider auftrete.

Nicht erst das fertige Denkmal erzählt also Demokratiegeschichte.

Deutsche und ein Denkmal. Es geht nicht ohne, aber jeder Entwurf ist am Ende der falsche. Die Suche nach der besten Lösung demütigt irgendwann jede. Rundum Einreder und Zerreder? Am Ende freilich wird es kommen, wie es immer kommt: Egal, was entsteht und wie die Welt also ist – die Leute nehmen sich diese Welt her zum jeweilig möglichen Wohlgefallen.

Beispiel Holocaust-Denkmal. Tolle Vorschläge blieben damals ungehört. Etwa jener von Theatermann George Tabori: den Platz am Brandenburger Tor »Judenplatz« zu nennen. Jeder der täglich Unzähligen, der den Weg erfragt, hätte das Wort in den Mund nehmen müssen. Das wäre wie Zähneputzen, statt Zähne zeigen, also: Zeichen einer Weltveränderung. Nun aber gibt es die Stelen, sie sind akzeptiert, und jenes Unbegreifbare, das sie hintersinns miterzählen, ist kein Befehl, der einschüchtert. Die so hart und schwarz stehenden Stelen werden doch täglich belebt: Das Schlimme ist gepaart mit einem Gegengewicht Schönheit.

Mit der Lust, sich noch vom möglicherweise Mangelhaften inspirieren zu lassen, könnte man also auch die bevorstehende Schaukel als Gewinn sehen. Wobei die erregende Frage ungeklärt bleibt: wie ein Denkmal wohl sein müsse, das so preisend wie kritisch wirken will. Wie stellt man Geschichte so dar, dass deutlich wird: Sie ist, auch beim großen schönen Ziel Einheit, niemals die unabgelenkte Realisierung eines Plans, sondern stets das von keinem so gewollte Resultat zahlloser Einzelabsichten – die sich kreuzen, beißen, verschlingen. Wir machen nicht Geschichte, wir sind in sie verstrickt; Geschichte ist eine Knetmasse aus Zufall, Kompromiss, Irrsinn, Klugheit, Dummheit, Gewohnheit. Schöner Lohn von Revolution und Einheit: die Freiheit, mit genau dieser Erkenntnis jedem Geschichtsprogramm erleichtert absagen zu können, ohne resignativ oder zynisch werden zu müssen.

Es ist offenbar Illusion, es könne dieser notorischen Unübersichtlichkeit Geschichte, es könne dieser Befreitheit von geschichtlichem Kurs-Festlegen und Kurs-Haltenwollen, also dieser »Lichtung im Denken« (Rüdiger Safranski), je ein wahrhaftiges Denkmal gebaut werden – gar im Staatsauftrag!

Aber vorbei ist doch immerhin jene Zeit der Statuen, zu denen aufzuschauen war: das Denkmal als Order zum Knien. Wie viel Geschichte musste durchstanden werden, dass statt der Helden-Standbilder nun sogenannte partizipative Assoziationsstätten entstehen. Wo nicht nur die Tauben, sondern auch wir draufrum klettern. Stelen, Schalen. Spiel-Plätze.

Freilich: Auf jedes Denkmal, so wie es die Tauben tun, generell (pardon!) zu scheißen – diesen emanzipatorischen Mut haben wir nicht, der kommt erst mit kommenden Generationen. Die auch genug Geist für den so einleuchtenden Gedanken haben, dass man nicht alles zubetonieren muss. Brecht schrieb, was von Städten bleibe: der Wind, der durch sie hindurchweht. Er meinte zerstörte Städte. Wir zerstören Städte schon, indem wir jede Lücke für Wind, Grün, Himmelblick zubauen.

Gerade der Schlossplatz: welche Weite war das nach dem Abriss vom Palast der Republik. Warum nicht fürderhin dort stehen können, die Weite auf sich wirken lassen, auch die Leere – das Großareal als Einladung, mit Eigenem Deutschland zu bedenken, zu fühlen. Fülle wie Verlust. Jeder, der so mit sich selber verführe, der stünde lebendig für Freiheit und Einheit. An luftiger, lichter Stätte verführt zur schönsten Lust: Denk mal.ops

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