Frei, also: liberal

Sloterdijk-Rede

  • Lesedauer: 3 Min.

Wer bei Liberalismus an FDP denkt, offenbart die Befundarmut seines politischen Wissens. Philosoph Peter Sloterdijk sagt, noch nie habe das Wort »liberal« eine so »niederträchtige Konnotation« gehabt wie derzeit. Es stehe nunmehr leider für »ein Leben auf der Galeere der Habsucht«. Kürzlich hielt er bei der Friedrich-Naumann-Stiftung die 5. »Berliner Rede zur Freiheit«, gab erneut ein intellektuelles Glanzstück seiner verblüffenden Gabe fürs Verschmelzen von Denk- und Ausdruckskraft.

Freiheit, so der Karlsruher Professor, werde oft gesucht, wo sie nicht zu finden sei: »im Willen, im Wahlakt oder im Gehirn«. Tolle Reihung; bitter wahr, oder? Übergangen werde oft jene Quelle der Freiheit, die »in der noblen Gesinnung, in der Großzügigkeit« liege. Freiheit als Zuwendungsenergie, nicht als Freiheit von etwas, sondern für etwas. Freiheit nicht als Kaufhaus für Narzissmus, sondern als anderes Wort für »Vornehmheit, für die Gesinnung, die sich unter allen Umständen am Besseren, am Schwierigeren orientiert – weil sie frei genug ist für das weniger Wahrscheinliche und Vulgäre«. Liberalismus: Es stimmt eben nicht unbedingt, dass zuerst das Fressen kommt, dann die Moral. Das ist der Satz, mit dem das soziale Menschenrecht die Freiheit des Gewissens auch erpressen kann. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing? Die Namensreihe derer, die so nicht leben konnten, können, ist kürzer als die Namensreihe auf der Liste der Duldungen – aber die wenigen Namen zählen um so gewichtiger.

Sloterdijk spricht gegen die hastige Koalitionsgefügigkeit der Parteien. Freiheit sei »Verfügbarkeit für das Unwahrscheinliche«, sei »Absage an die Tyrannei des Wahrscheinlichsten«. Blanker Geist der Utopie also. Wie anders soll das zu lesen sein als Verweis auf den unlösbaren Widerspruch zwischen großen, weitgreifenden Gedanken und dem kleinen Rahmen der Parteientüftelei. Parteien versuchen Unmögliches, wenn sie wirklich konsequent programmatisch werden wollen. Weil ihnen die Zeit doch gar keine Chance gibt, programmatisch zu sein. Weil das nicht mehr ihr Job ist. Weil sie nur Partikel im fortwährend interaktiven Wechselspiel der Interessen sein können. Gestrüpparbeit. Es wird sicher noch lange Zeit Parteien geben – dies aber schon mitten in der Ära des Parteibedeutungsschwundes. Es gibt Untergänge mit hohem Verzögerungsfaktor. Zuletzt merkt dies, wen's betrifft.

Sloterdijk sagt, in solcher Lage dürfe man kulturelle Tradition nicht Konservativen überlassen; Umwelt sei zu wichtig, um als Thema den Grünen gehören zu dürfen; sozialer Ausgleich, Sache der Sozialdemokraten, sei zu bedeutend, um SPD- und LINKEN-Domäne zu bleiben. Freilich brauche jedes dieser elementaren Themen nach wie vor »eine parteiliche Hauptstimme« – aber ohne dass uns eine Partei, welche auch immer, uns den Eindruck aufzwingen könne, sie nur sei Sachwalterin des unbedingt Notwendigen. Dass sie's trotzdem alle versuchen – traurig verkrümmte Figurationen einer ausweglosen Situation.

Wahre Liberale, so Sloterdijk, fügen dem Wirklichkeitssinn den Möglichkeitssinn hinzu. Eine Wort-Anleihe bei Musil. Das Liberale als Selbststeigerung eines Bewusstseins, das mehr begehrt, als ihm Realität zu geben vermag; eine »Chiffre für die Sympathie mit allem, was Menschen von Despotien jeder Art emanzipiert.« Auch von der Despotie der Parteien.

Diese Rede: wie das Herunterreißen eines Schleiers; jede der Parteien, die unsere repräsentative Demokratie täglich herbeistrampeln, steht doppelt hilflos da. Fazit: Philosophie bleibt der größte Feind parteipolitischer Artikulationsmühen. Nicht neu, aber als Wahrheit immer neu zu behaupten und zu verteidigen. Hans-Dieter Schütt

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